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Pater, ich vergebe euch! - Missbraucht aber nicht zerbrochen

| Marc Heiland | Romane

PaterVier Jahre lang wurde Daniel Pittet vom Kapuziner-Priester Pater Joel misshandelt, zu pornografischen Fotos gezwungen und immer wieder vergewaltigt. In seinem Buch beschreibt Pittet sein Martyrium in allen Details. Ein Martyrium, das schockiert und das vor allem Fragen aufwirft. Warum hat niemand geholfen? Wie kann ein Mensch so etwas tun? Wie kann ein Mann der Kirche so etwas tun? Und noch mehr: Wie kann ein Mensch so etwas überleben? Pittets Geschichte ist nicht nur die Geschichte eines unmenschlichen Leidens, sondern auch die einer unglaublichen Stärke: Er hat seinen Glauben nicht verloren und seinem Peiniger sogar vergeben. Pittets Buch deckt deshalb nicht nur auf, was Missbrauch wirklich bedeutet, sondern erzählt vor allem vom Überleben und Weiterleben. Sein Buch erschüttert, macht traurig und wütend. Zugleich aber zeigt es einen Mann, der den Weg zurück gefunden hat, indem er vergeben hat und sein Leben auf dieser Vergebung aufbaut. Mit einem Vorwort von Papst Franziskus.

Rezension: Es gibt Bücher, die liest man als Buchrezensent gerne. Auf diese Bücher stürzt man sich quasi, um sie „in einem Rutsch“ durchzulesen. Dann gibt es Bücher, bei denen man sich überlegt, ob man sie lesen sollte. Zu grausam sind die zwischen den Buchdeckeln geschilderten Details, vor allem dann, wenn sie der Wahrheit entsprechen. Diese „unbequemen“ Bücher fallen oft schwer zu lesen. Doch sie sind wichtig und über ihren Inhalt zu schreiben, und sie zu empfehlen bzw. einem breiten Publikum publik zu machen, ist zwar eine besondere Herausforderung an den Leser und Verfasser der Rezension, dennoch in gewisser Weise auch ein großes Anliegen. So auch im vorliegenden Fall.

Denn, dass die beiden großen christlichen Kirchen – allen voran die Katholische Kirche – ein unglaublich gewaltiges Problem mit ihrem „Bodenpersonal“ in Sachen sexueller Missbrauch haben, ist nicht erst seit der Aufdeckung des großen Skandals unter Papst Benedikt XVI. klar. Bereits Jahrzehnte früher, unter seinem Vorgänger Johannes Paul II., wurden Stimmen laut, die über Missbrauch in der Kirche durch Priester klagten. Doch damals waren die Zahlen der Männer, die rückwirkend über Missbrauch durch Geistliche in ihrer Jugend berichteten, noch gering, hatten die meisten Missbrauchsopfer doch Angst vor den Folgen durch die Kirche, waren so stark traumatisiert, dass sie ihren eigenen Missbrauch lieber verschwiegen oder wollten warten, bis die entsprechenden Priester nicht mehr unter den Lebenden weilen würden. Erst unter dem deutschen Papst Benedikt XVI. wurde die Spitze des Eisbergs (das ganze Ausmaß wird wohl nie ans Licht kommen) klar und für alle nicht zu leugnen sichtbar.

Die letzten Fälle von jahrelangem Missbrauch und Misshandlungen wurden erst im Sommer diesen Jahres durch den Abschlussbericht im Falle der „Regensburger Domspatzen“, deren Leiter viele Jahre lang der Bruder von Papst Benedikt XVI war, der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Auch hier wurde beinahe systematisch Missbrauch an Schutzbefohlenen betrieben.

Umso erschütternder ist es dann, ein Buch wie das von Daniel Pittet zu lesen. Dieser berichtet offen und schonungslos ehrlich über sein Martyrium. Und ich muss sagen, dass ich als Leser (selten habe ich für die Lektüre eines Buches derart lange Zeit benötigt) von der ersten bis zur letzten Seite gelitten und mitgelitten habe.

Dies beginnt bereits bei der Schilderung des Versuchs seines Vaters, die Mutter zu töten, während sie mit Pittet im achten Monat schwanger ist. Schon hier möchte ich eigentlich das Buch wieder aus den Händen legen und doch will ich wissen, wie es weitergegangen ist. Weiter geht es im zweiten Kapitel, in dem der Autor beginnt, die ersten Übergriffe durch Pater Allaz zu beschreiben, die zum Schluss in die unglaubliche Zahl von rund 200 Vergewaltigungen münden.

Man mag es kaum glauben, aber es ist leider wahr: Der Kapuzinerpater Joël Allaz, mittlerweile 77 Jahre alt, hat in seinem ganzen Leben den Schutz der Kirche genossen und wurde erst im Juni 2017 entlassen, ohne natürlich komplett fallen gelassen zu werden. Auch wenn der Pater seine Taten heute – nach außen hin – bereut, hat er durch sein furchtbares Handeln ein unbeschreibliches Leid über den Autoren gebracht. Noch heute kann Daniel Pittet, mittlerweile verheiratet und Vater von insgesamt sechs Kindern, kein „ordentliches“ Sexualleben führen. Auch die über viele Jahre dauernde Therapie konnte die seelischen Schäden, die der Pater angerichtet hat, nicht reparieren.

Neben der Geschichte von Daniel Pittet ist die zweite besondere Leistung die des aktuellen Past Franziskus, der ein offenes und „ehrliches“ Vorwort zum Buch geschrieben hat. Geprägt von Demut, Scham und Trauer um die Taten seiner „Brüder im Glauben“, bittet Franziskus um Entschuldigung. Wer den Papst in seinen bisherigen Amtshandlungen erlebt und kennen gelernt hat, der weiß, wie sehr es Franziskus nach außen und nach innen hin schmerzt und erkennt seinen aufrichtigen Wunsch nach Entschuldigung. Kein anderer Papst vor ihm hätte sich zu einem Vorwort über den sexuellen Missbrauch in der Kirche „durchgerungen“. Weder der erzkonservative Johannes Paul II. noch sein Nachfolger Benedikt XVI, der in der Zeit vor seinem Pontifikat (und möglicherweise auch währenddessen) bewusst die Übergriffe verschleiert hat.

Fazit: „Pater ich vergebe euch! – Missbraucht, aber nicht zerbrochen“ ist ein schonungslos ehrliches, in seiner Wortwahl keinesfalls auf Rache sinnendes, sondern um Aufklärung bemühtes Buch, dass absolut keine leichte Kost ist, dafür aber ein immens wichtiger Beitrat bei der Aufarbeitung der sexuellen Missbräuche innerhalb der Katholischen Kirche.

Aufgrund der Thematik verbietet es sich für uns eine Bewertung in Form einer Zahl vorzunehmen. Eine Buchempfehlung sprechen wir selbstverständlich aus.

Titel: „Pater ich vergebe euch! – Missbraucht, aber nicht zerbrochen“

Autor: Daniel Pittet

Verlag: Verlag Herder; Auflage: 1 (17. August 2017)

ISBN-10: 3451379147

ISBN-13: 978-3451379147

Die inn-joy Redaktion bedankt sich beim Verlag Herder für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

L. Zimmermann

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