Thief VR: Legacy of Shadow – Wenn Schatten greifbar werden | Review (Meta Quest 3)
Über ein Jahrzehnt lang wartete die Spielewelt auf eine Rückkehr der legendären Thief-Reihe. Dass nun ein VR-Ableger diesen Schritt wagt, wirkte zunächst wie ein äußerst mutiges Experiment. Für mich, der die alten Teile nie selbst gespielt hat, aber seit einer spielbaren Preview im September mit gespannter Neugier auf das fertige Werk blickte, war es vor allem eine aufregende Chance, sich erstmals in den Schatten dieser Saga zu verlieren. Nach dem vollständigen Durchlauf von Thief VR: Legacy of Shadow auf der Meta Quest 3 kann ich sagen: Maze Theory hat ein atmosphärisch dichtes Stealth-Abenteuer geschaffen, das oft begeistert, manchmal frustriert und am Ende ein erstaunlich vielschichtiges VR-Erlebnis hinterlässt.
Die Geschichte dreht sich um Magpie, eine junge Meisterdiebin, deren Leben sich schlagartig ändert, als sie ein mysteriöses Relikt stiehlt: das mechanische Auge des ikonischen Garrett. Kaum hält sie es in den Händen, wird sie tiefer in eine politische Intrige gezogen, als ihr lieb sein kann. Auftraggeberin Kassandra schickt sie durch das düstere, von Steampunk-Elementen durchzogene „The City“, um die finsteren Pläne des tyrannischen Barons Northcrest aufzudecken, der mithilfe magischer Artefakte ein gefährliches Ritual vollenden will. Die Handlung bleibt klassisch, aber dank gelungener Inszenierung und viel Atmosphäre fesselnd, nicht zuletzt weil Stephen Russell, die Stimme des ursprünglichen Garrett, dem Spiel eine besondere Note verleiht.
Das eigentliche Herzstück von Thief VR liegt jedoch im Schleichen, Stehlen und Verschwinden. Bereits nach wenigen Minuten spürt man, dass Maze Theory versucht hat, das Gefühl der alten Reihe in ein VR-Gewand zu übertragen. Man bewegt sich durch mehrstöckige Anwesen, enge Gassen, dunkle Keller und klaustrophobische Schächte, oft in frei wählbarer Reihenfolge. Viele Missionen wirken wie kompakte Sandkästen, die man nach eigenem Ermessen infiltrieren kann. Die Ausrüstung fühlt sich greifbar und glaubhaft an: der Totschläger, der präzise und ruhig angesetzt werden will; das leichte Zittern in den Händen beim Schlossknacken; die Anspannung, wenn der Bogen gespannt wird, während man gleichzeitig versucht, keinen Laut zu machen. Gerade der Bogen ist bemerkenswert umgesetzt und vermittelt mit seinem Widerstand überraschend viel physische Präsenz, auch wenn die Zielmechanik etwas Übung verlangt. Immer wieder ist man auf der Suche nach Möglichkeiten, unbemerkt an Wachen vorbeizukommen. Die Schatten werden zum Freund, Lichtquellen zum Feind, und manchmal reicht ein einziges geöffnetes Fenster, um einen kompletten Plan umzuschreiben. Doch so immersiv diese Momente oft sind, werden sie
gelegentlich von Schwächen der künstlichen Intelligenz unterbrochen. Wachen reagieren mal überempfindlich auf kleinste Geräusche, während sie im nächsten Moment blind an einer offenen Tür vorbeilaufen, hinter der man eben noch hörbar herumhantierte. Alarmierte Gegner geben unrealistisch schnell auf, und die Tatsache, dass mehrere Wachen identische Stimmen besitzen, bricht hin und wieder die ansonsten gelungene Atmosphäre. So ertappt man sich dabei, die Bedrohung irgendwann weniger ernst zu nehmen, da die Gegner trotz ihrer Rolle als gefährliche Patrouillen oft mehr Stolpersteine als wirkliche Gefahren darstellen.
Auch die Interaktion mit Objekten ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es beeindruckend, wie viele Elemente sich greifen, bewegen, öffnen oder manipulieren lassen. Andererseits reagiert nicht alles so präzise, wie man es in VR erwarten würde. Schubladen klemmen, Dietriche rutschen unsauber in die Hände, und manche Mechanismen wollen nur dann funktionieren, wenn man exakt den richtigen Winkel trifft. Gerade in Situationen, in denen Wachen im nächsten Raum patrouillieren, können solche Haker die Immersion kurzzeitig brechen. Doch immer wieder zieht einen das Spiel zurück in seinen Bann. Das Leveldesign ist stimmungsvoll, abwechslungsreich und voller kleiner Geschichten, die in Notizen, Graffiti und Umgebungsdetails verborgen liegen. Die vertikale Struktur vieler Abschnitte lädt dazu ein, kreativ zu werden. Man klettert Balken hinauf, lässt sich an Vorsprüngen herab oder schießt einen Seilpfeil an eine entfernte Holzbalkenstruktur, um so einen völlig neuen Weg zu erschließen. In diesen Augenblicken fühlt man sich tatsächlich wie eine Meisterdiebin, die eine lebendige, atmende Stadt erkundet.
Umso bedauerlicher ist es, dass das Finale diesen Aufbau nicht konsequent fortführt. Die letzten Missionen wirken gehetzt, recyceln frühere Areale ohne nennenswerte Anpassung und führen die Handlung in einem viel zu abrupten, kaum inszenierten Ende zusammen. Nach stundenlangem Schleichen und Planen erwartet man einen Höhepunkt, der dem zuvor aufgebauten Spannungsbogen gerecht wird – stattdessen fällt der Schlussakt überraschend flach aus und lässt das Gefühl zurück, dass dem Studio am Ende schlicht die Zeit ausgegangen ist.
Technisch zeigt sich Thief VR auf der Meta Quest 3 weitgehend solide. Das Spiel läuft stabil, sieht in vielen Bereichen hervorragend aus und nutzt Lichtstimmungen geschickt, auch wenn manche Abschnitte überraschend hell geraten sind und dadurch das Gefühl von Unsichtbarkeit schwächen. Die Bedienung ist komfortabel, Motion Sickness bleibt selten ein Thema, und das Klettern fühlt sich präzise an. Kleine Clipping-Fehler und gelegentlich merkwürdige Ragdoll-Effekte der Gegner gehören zu den Momenten, über die man schmunzelt, obwohl sie die Ernsthaftigkeit der Situation unterlaufen.
Trotz aller Kritikpunkte entfaltet Thief VR in seinen besten Szenen eine bemerkenswerte Faszination. Wenn eine Kerzenflamme erlischt, ein Suchscheinwerfer über die Wand gleitet, während man den Atem anhält, oder wenn ein perfekt gesetzter Seilpfeil den Weg in die Freiheit eröffnet, dann zeigt das Spiel ganz klar, welches Potenzial Stealth-Gameplay in der virtuellen Realität besitzt. Es sind diese Momente, die im Gedächtnis bleiben und die Motivation hochhalten, selbst wenn die KI gelegentlich die Atmosphäre stört oder die Interaktion nicht so sauber funktioniert wie erhofft.
Fazit: Am Ende bleibt ein Spiel, das vieles richtig macht, manches falsch, aber insgesamt ein lohnenswertes, atmosphärisches und mutiges VR-Abenteuer bietet. Thief VR: Legacy of
Shadow ist kein neues Meisterwerk der Reihe, und es erreicht nicht die Raffinesse der klassischen Teile. Doch als VR-Titel überzeugt es mit Stil, Persönlichkeit und einem Gespür für Spannung, das man in dieser Form selten findet. Für Fans von VR-Stealth-Erlebnissen ist es eine klare Empfehlung, und selbst Spieler, die bisher wenig Berührung mit der Serie hatten, werden hier viele packende Stunden erleben.
Wir bedanken uns beim Publisher für das zur Verfügung gestellte Testmuster.
U. Sperling