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Lost Words: Beyond the Page | Review (PS4)

| Marc Heiland | Konsolen
LostWordsBild1Videospiele werden heute mit einem Millionenbudget produziert. Eine Top-Grafik, die zeigen soll, was auf den aktuellen Konsolen so alles technisch möglich ist, sündhaft teure Effektgewitter und Animationen, die Hollywood manchmal kaum noch in der aufwendigen Produktionsweise nachstehen und vieles mehr werden in die Waagschale geworfen, um bei Fans und Kritikern gleichermaßen zu punkten. Doch all das übertüncht oftmals die inhaltslose Leere, der wir beim Spielen dieser so genannten „AAA“-Produktionen begegnen. Hohle Phrasen, austauschbare Gegner und oftmals überzeichnete Emotionen lassen uns mit Gleichgültigkeit auf das Bildschirm-Geschehen zurück, stumpfen all dem, was da so geschieht gegenüber ab und bleiben nur ganz selten länger als einen Augenblick im Gedächtnis hängen.
 
Nur ganz selten geschieht es, dass man als Spieler mit den Charakteren mitfühlt. Wenige Ausnahmetitel haben es geschafft, wofür eigentlich gute Spiele da sein sollten: Die Seele zu berühren! Nicht nur mitfiebern und mitleiden machen den wahren Tiefgang eines Spiels aus, sondern der Moment, in dem wir unser Herz öffnen und das Spiel hineinlassen. Dann ist den Entwicklern etwas wahrlich Großes gelungen. 
Doch dafür müssen die Entwickler etwas leisten, was sich in unserer heutigen Zeit immer weniger Entwickler trauen: Geschichten mit echten Emotionen zu schreiben, diese nach und nach behutsam aufzubauen, sich Zeit zu nehmen und möglicherweise auch ein wenig von sich selbst preiszugeben und dabei hinter die Fassade blicken zu lassen. Hier wollen narrative Spiele ansetzen, die mit einer Story aufwarten, die den Spieler intensiv beschäftigen. Aber auch da gelingt es nicht in jedem Fall. So gibt es in der Geschichte der Videospiele gute und negative Beispiele solcher „storylastiger“ Titel. In welche Kategorie das eben für die Xbox, den PC und die PS4 erschienene „Lost Words: Beyond the Page“ einzuordnen ist, verraten wir euch im Test, den wir anhand der PS4-Fassung verfasst haben. 
 
Leise, feinfühlige Emotionen in besonderer Form präsentiert
So könnte man Lost Words kurz und prägnant beschreiben. Denn bereits der Beginn des Spiels zeigt, dass Emotionen hier ganz sachte präsentiert werden und dabei ein erzählerisch für ein Videospiel vollkommen neuer Weg beschritten wird. Endlich weg von allen Klischees, die wir Spielkritiker stets bemängeln! Endlich wagt jemand mal etwas Neues, anstatt bekannte Pfade weiterhin breitzutreten und hat den Mut, gegen mögliche Mainstream-Kritiker aufzutreten! Bewundernswert – so meine Gedanken in den ersten Spielminuten. Doch was hat mich derart begeistert? 
Die Antwort ist leicht: Die Entwickler hinter „Lost Words: Beyond the Page“ gehen bei der Gestaltung ihres Spiels einen bis dato nie gewählten Weg, um euch die Handlung zu erzählen. Sie bilden eine Rahmenhandlung, die euch eine Erzählerin in Form von interaktiven Tagebucheinträgen wiedergibt und eine innere Handlung, die eine Geschichte in der Geschichte erzählt.
 
LostWordsBild2In der Rahmenhandlung lauschen wir der Erzählung von Izzy, einem jungen Mädchen. Izzy hat ein inniges Verhältnis zu ihrer Familie, allen voran ihrer innig geliebten Großmutter. Doch eines Tages erleidet diese einen Schlaganfall, der die Gefühlswelt von Izzy komplett auf den Kopf stellt. So fragt sie sich, wie ihre Oma nun weiterleben wird, überlegt, ob es ihre Schuld ist und ist sauer auf die Krankheit, die ihre Oma wie aus heiterem Himmel vollkommen zu verändern scheint. Auch im späteren Verlauf der Rahmenhandlung wird Izzy oftmals von ihren Gefühlen überwältigt, denen sie im Tagebuch freien Lauf lässt. Und dieses Tagebuch ist der Dreh- und Angelpunkt. Denn – wie bereits erwähnt – handelt es sich um ein interaktives Tagebuch, in dem ihr selbst zum Handelnden werdet. So erzählt Izzy beispielsweise, wie sie Geschirr nach dem Essen aufgewaschen hat und ihr macht es nach. An anderer Stelle geht es um eine zerbrochene Vase, die ihr wieder klebt. Während die Erzählerin ihre Sätze niederschreibt, springt ihr als Miniaturversion der Erzählerin über die dabei entstehenden Zeilen und Begriffe, die oft neue Sätze hervorbringen.
 
Was jetzt in der Theorie ein wenig langweilig klingen mag, entpuppt sich durch einen geschickten Kniff der Autorin der Geschichte als einzigartig. Denn ihr nehmt nicht einfach den Controller zur Hand und wischt dann beispielsweise über das Geschirr. Stattdessen tauchen verschiedene Verben auf, welche die Tätigkeit vorgeben, mit der ihr interagiert. Diese Wörter lassen das Tagebuch lebendig werden. Auch die Art und Weise, wie Sätze geschrieben werden, sind passend zu ihrem jeweiligen Satzsinn. Ein Beispiel: Geht Izzy in der Rahmenhandlung eine Treppe hinauf, steigen die Satzwörter in Treppenform an. Werden Wörter, Ausrufe und Emotionen besonders hervorgehoben, können sie auch mal eine Tagebuchseite füllen. Hin und wieder wartet Izzy, bis ihr euch die „richtigen“ Wörter aussucht, um dann weiterzusprechen. Am Ende einer Tagebuch-Doppelseite steht eine Art Ausgang, den ihr erreichen müsst, um weiterzukommen. 
 
Die zweite Ebene des Spiels ist die Geschichte innerhalb der Rahmenhandlung. Diese wird von Izzy entsponnen, um sie ihrer Oma zu erzählen. Auch hier seid ihr aktiv beteiligt. In dieser Geschichte schlüpft ihr in die Rolle eines Mädchens, das zur Beschützerin von Glühwürmchen wird, nachdem die „Älteste Ava“ ihr die Rolle überträgt. Doch die Freude über diese große Aufgabe wärt nicht lange, da ein gigantischer Drache das Reich zerstört und die Bewohner in ihrer Not das Mädchen um Hilfe bitten, die Glühwürmchen zurückzuholen und alle zu retten. 
Auf ihrem Weg durch die ihr unbekannte, furchteinflößende, aber auch neugierig machende und aufregende Welt begegnet sie verschiedenen Charakteren, die alle ihre Geheimnisse haben, die Emotionen zeigen und eine Spiegelung der Rahmenhandlung darstellen. So funktioniert das Spiel auf zwei Ebenen. Auch hier werden die „magischen Wörter“ genutzt. Begriffe die „reparieren“, „tauschen“, „zerstören“ oder „schweben“ ermöglichen es euch, kleinere Rätsel zu lösen, um weiterzukommen. Dabei wurde – wenngleich sich die Rätsel oft wiederholen – Wert darauf gelegt, dass sich alles organisch anfühlt und zu keiner Zeit aufgesetzt wirkt. Nach und nach lernt die Heldin wider Willen neue „magische Wörter“, die sie in ihrem Buch aufbewahrt und über einen Druck auf die L1-Taste abrufen kann. Die Spielmechanik ist einfach, aber überraschend effektiv. Ein wenig schade ist jedoch, dass sich die Entwickler in Sachen Physik hier und da kleinere Schnitzer erlauben und ihr – mal im Tagebuch, mal in der Geschichte – mit eurer Figur an Kanten hängenbleibt. Doch das lässt sich nach einigen Versuchen regeln. Da ihr nicht sterben könnt, sondern an einem der zahlreichen fair gesetzten Checkpoints zurückgesetzt werdet, kommt auch kein unnötiger Frust auf. 
 
LostWordsBild3Die Story ist vielleicht ein wenig schlicht, überzeugt aber dadurch, dass hier die Autorin durch die Augen eines Kindes blickt und die Emotionen, die das Geschehen in der „realen“ Welt hervorruft, extrem gut zeigt. Auch dann, wenn ihr als Spieler anfangt, die Doppelbedeutungen hinter den beiden Geschichten des Spiels zu analysieren, funktioniert die Story wunderbar. Jeder wird in der Lage sein, sich auf das zu beziehen, was Izzy bis zu einem gewissen Grad durchmacht, und dies dient nur dazu, dem Spiel eine noch größere Wirkung zu verleihen. 
Verstärkt wir das Ganze noch durch einen wunderschönen handgezeichneten Stil, der einem Kinderbuch entsprungen sein könnte. Doch Achtung: Lasst euch nicht vom niedlichen Stil des Spiels täuschen, da es im Laufe des Spiels zu einigen ziemlich starken Emotionen kommt! Taschentücher solltet ihr auf jeden Fall griffbereit haben. Auch der wunderschöne, oft minimalistische Soundtrack und die sehr guten englischen Sprecher tragen ihren Teil zur dichten Atmosphäre bei. Für uns deutsche Fans bietet das Spiel sehr gute Untertitel. Die Tagebuchtexte sind komplett in Deutsch gehalten, um auch wirklich die gesamte Handlung bis ins kleinste Detail verstehen zu können. 
 
8Fazit: „Lost Words: Beyond the Page“ überzeugt durch einen vollkommen neuen Erzählstil, der allein schon für diesen Weg gelobt werden muss. Die Geschichte ist emotional und kraftvoll genug, um euch von der ersten bis zur letzten Minute vor den Bildschirm zu fesseln, selbst wenn die Geschichte ziemlich früh signalisiert, in welche Richtung es gehen wird. Das Gameplay mag seine repetitiven Momente haben, wirkt aber nie künstlich und aufgesetzt. Die Verwendung der „Wortmagie“ ist einfach, aber hervorragend umgesetzt. Und am Ende bleibt ein Spiel, das mich – wie selten ein anderes in den letzten Jahren – emotional überwältigt und komplett in seinen Bann gezogen hat.
 
Die inn-joy Redaktion vergibt 8 von 10 Punkten.
 
Die inn-joy Redaktion bedankt sich bei Modus Games für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.
 
U. Sperling
 

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