Amnesia Rebirth | Review (PC)
Nach dem Genremeilenstein Amnesia: The Dark Descent (2010) und dem experimentelleren A Machine for Pigs (2013, entwickelt von The Chinese Room) meldet sich Frictional Games mit einem neuen Hauptteil der Serie zurück. Amnesia: Rebirth knüpft erzählerisch und atmosphärisch an den Erstling an und will das Rad nicht neu erfinden – dafür aber tiefer graben. Was wir bekommen, ist kein schneller Horrortrip mit billigen Schockeffekten, sondern ein verstörendes, psychologisches Abenteuer, das seinen Schrecken aus dem Kopfkino bezieht. Und das gelingt – nicht immer perfekt, aber mit beeindruckender Konsequenz.
Eine Reise in die eigene Dunkelheit
Die Geschichte beginnt mit einem Flugzeugabsturz über der algerischen Wüste. Protagonistin Tasi Trianon erwacht benommen und verwirrt zwischen den Trümmern, ihre Mitreisenden sind verschwunden. Die Situation ist zunächst klassisch: Orientierungslosigkeit, klaustrophobische Umgebung, Tagebucheinträge und Notizen, die wie Brotkrumen zur nächsten Etappe führen. Doch schnell wird klar: Amnesia: Rebirth will mehr als nur einen simplen Survival-Plot erzählen.Tasi ist eine glaubwürdig geschriebene Figur mit Tiefe. Die Spieler erleben nicht nur die äußeren Schrecken der Welt, sondern auch die inneren Abgründe ihrer Psyche. Flashbacks, Erinnerungsfragmente und emotionale Zwischensequenzen zeichnen ein düsteres Bild von Verlust, Trauma und Identitätskrise. Besonders stark ist das Storytelling in den Momenten, in denen es weniger um Monster geht, sondern um die Zerbrechlichkeit der menschlichen Psyche angesichts von Schmerz und Schuld. Narrativ gelingt Frictional Games damit ein bemerkenswerter Spagat: Zwischen persönlichem Drama und übernatürlichem Wahnsinn, zwischen Weltkriegsschauplätzen, Wüstenhöhlen und einer bizarren Parallelwelt – inklusive Lovecraft’scher Anleihen – verliert sich das Spiel nie in Beliebigkeit. Es bleibt fokussiert, mutig und emotional fordernd.
Angst als Spielfeature
Die Grundmechanik ist im Kern vertraut: Licht ist Leben. Dunkelheit steigert die Angst, und mit zunehmender Panik werden Halluzinationen, Zittern und Kontrollverlust häufiger. Dieses Feature ist keine bloße Spielerei, sondern wird geschickt mit der Story verknüpft. Tasis Angstzustand ist spürbar – nicht nur über audiovisuelle Effekte, sondern auch über ihr Verhalten: Sie atmet schneller, beginnt zu flüstern oder klammert sich nervös an Lichtquellen. Neu im Vergleich zu The Dark Descent ist, dass es keine klassische „Sanity“-Anzeige mehr gibt. Stattdessen wird Angst über subtile Effekte vermittelt: visuelle Verzerrungen, Geräuschkulissen, eine erschwerte Steuerung. Das schafft eine intensivere Immersion, da man nicht mehr mit einer UI-Leiste spielt, sondern mit dem eigenen Gefühl. Die Rätsel sind oft physikbasiert und logisch in die Spielwelt integriert. Türen müssen manuell geöffnet, Generatoren in Gang gesetzt, Schalter in der richtigen Reihenfolge bedient werden. Manche Herausforderungen wirken etwas gestreckt, andere sind angenehm clever. Wer sich an die Rätsel in Soma erinnert, wird viele Parallelen erkennen. Der Horror selbst bleibt angenehm zurückhaltend. Gegner sind selten, unberechenbar und meist vermeidbar. Es geht darum, sich zu verstecken, zu schleichen oder zur Not zu fliehen – direkte Konfrontationen enden oft tödlich. Dieses Design fördert die ständige Anspannung, verhindert aber Frust durch trial-and-error. Das Leveldesign ist dabei meist linear, mit einigen optionalen Pfaden für Erkundungslustige.
Ästhetik des Schreckens
Grafisch ist Amnesia: Rebirth solide, aber keine Offenbarung. Die Engine liefert glaubwürdige Umgebungen, stimmungsvolle Licht- und Schatteneffekte und eine lebendige Welt. Besonders die Wüstenlandschaften, Ruinen und unterirdischen Grabstätten wirken atmosphärisch dicht und glaubhaft. Die Gesichtsanimationen in Flashbacks sind dagegen nur Mittelmaß – was bei einem erzählfokussierten Spiel schade ist, da sie Emotionen teils nicht überzeugend transportieren Der wahre Star ist jedoch das Sounddesign. Es ist schlicht meisterhaft. Jede Umgebung lebt durch Geräusche: das Tropfen von Wasser, das ferne Grollen eines unbekannten Wesens, das Knacken eines morschen Balkens. Musik wird sparsam, aber effektiv eingesetzt, und oft ist die Abwesenheit von Ton noch beunruhigender als ein orchestraler Höhepunkt. Die englische Sprachausgabe, insbesondere Tasis Schauspielerin, liefert eine exzellente Performance – glaubwürdig, verletzlich, packend. Die deutsche Lokalisierung existiert in Textform und ist größtenteils gelungen, auch wenn kleinere Übersetzungsfehler vorkommen. Empfehlenswert ist dennoch das Spielen auf Englisch mit Untertiteln, um die Originalstimmung zu bewahren.
Technisch läuft Amnesia: Rebirth sauber. Auf einem Mittelklasse-PC (z. B. mit GTX 1060, Ryzen 5 und 16 GB RAM) waren durchgehend flüssige 60 FPS möglich. Die Ladezeiten sind angenehm kurz, Bugs oder Abstürze traten während des Tests nicht auf. Einzige Kritik: Die Speicherfunktion ist etwas undurchsichtig. Es gibt keine manuelle Speicherung – das Spiel speichert nur an bestimmten Checkpoints. Das kann in gefährlichen Abschnitten für Frust sorgen, wenn man nach dem Bildschirmtod ein ganzes Areal wiederholen muss.Die Steuerung ist gewohnt direkt und lässt sich frei anpassen. Unterstützt wird auch Gamepad-Steuerung, die präzise und komfortabel umgesetzt ist. Mod-Support ist nicht vorgesehen, was schade ist – das Original Amnesia profitierte stark von einer aktiven Modding-Community.
Spielzeit & Wiederspielwert
Mit rund 8 bis 10 Stunden Spielzeit bietet Amnesia: Rebirth eine ordentliche Länge für ein narrativ getriebenes Horrorspiel. Der Wiederspielwert ist begrenzt, da Entscheidungen kaum echte Auswirkungen haben. Es gibt zwar verschiedene Enden, doch der Weg dorthin bleibt in weiten Teilen identisch. Wer die Atmosphäre noch einmal erleben will, kann beim zweiten Durchgang gezielt auf versteckte Hinweise und Storyfetzen achten – doch große spielerische Unterschiede gibt es nicht.
Fazit: Amnesia: Rebirth ist kein reiner Nachfolger, sondern eine konsequente Weiterentwicklung der Frictional-Formel: Erzählerischer Fokus, psychologischer Horror und ein durchdachtes Spielsystem treffen auf eine dichte Atmosphäre und eine ungewöhnlich emotionale Geschichte. Wer schnelle Action oder permanente Monsterbegegnungen sucht, ist hier falsch. Wer sich jedoch auf die langsame, nervenzehrende Reise in Tasis inneres Inferno einlässt, bekommt ein Horror-Erlebnis, das weit über das Übliche hinausgeht. Trotz technischer Schwächen und gelegentlicher Längen bleibt Amnesia: Rebirth ein bemerkenswertes Stück interaktiver Erzählkunst – und ein Paradebeispiel dafür, dass der größte Schrecken oft in uns selbst lauert.