Gloomy Eyes – Ein düster-poetisches Abenteuer voller Rätsel und Emotionen | Review (PC)
Die Welt der Videospiele ist riesig, bunt und vielfältig – und doch gibt es Titel, die aus dem Meer an Veröffentlichungen herausragen, weil sie nicht nur unterhalten, sondern auch eine ganz besondere Stimmung transportieren. Gloomy Eyes ist ein solches Spiel. Das Puzzle-Adventure von Fishing Cactus, ARTE France und weiteren Partnern nimmt seine Spieler mit in eine düstere, zugleich aber auch charmante Welt, die visuell stark an die Werke von Tim Burton erinnert. Dabei setzt das Spiel weniger auf Action und Spektakel, sondern auf Atmosphäre, clevere Rätsel und eine Geschichte, die gleichermaßen makaber wie berührend ist.
Die Handlung ist schnell erklärt und dennoch voller Bedeutung: Die Sonne hat sich aus der Welt zurückgezogen, weil sie den endlosen Kampf zwischen Menschen und Untoten satthatte. Zurück bleibt eine finstere, von Misstrauen und Hass erfüllte Gesellschaft. Mitten in diesem Chaos lernen wir zwei Figuren kennen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Gloomy, ein Zombiejunge mit leuchtenden Augen, der sich nach Zugehörigkeit sehnt, und Nena, ein neugieriges Menschenmädchen, das mit Mut und Lebensfreude nach Licht sucht. Gemeinsam begeben sich die beiden auf eine Reise, die nicht nur die Rückkehr der Sonne verspricht, sondern auch eine Erzählung über Freundschaft, Vorurteile und das Überwinden von Grenzen entfaltet. Schon nach wenigen Minuten merkt man, dass hier eine Art Märchen erzählt wird – melancholisch, verträumt und gleichzeitig hoffnungsvoll.
Spielerisch verfolgt Gloomy Eyes einen spannenden Ansatz: Es handelt sich um ein sogenanntes „Self-Coop“-Spiel. Das bedeutet, dass man beide Charaktere abwechselnd steuert, um ihre individuellen Fähigkeiten miteinander zu kombinieren. Gloomy ist stark im Dunkeln, kann Objekte aufheben und sogar Untote auf seine Seite ziehen, muss jedoch das Licht meiden. Nena hingegen ist das genaue Gegenteil: Sie kann Lichtquellen einschalten, durch sie hindurchgehen und so Rätsel lösen, ist jedoch anfällig für Zombies. Dieses Wechselspiel ist die Grundlage des Gameplays und sorgt dafür, dass man ständig zwischen den Figuren hin- und herwechselt. Mal muss Nena einen Schalter aktivieren, um Gloomy den Weg freizumachen, mal wirft Gloomy Knochen, um eine Lichtquelle zu blockieren und seiner Partnerin den Weg zu sichern.
Die Level sind in Form liebevoll gestalteter Dioramen aufgebaut, die sich drehen und zoomen lassen. Dadurch ergeben sich nicht nur hübsche Kameraperspektiven, sondern auch spielerische Möglichkeiten: Versteckte Pfade, Geheimnisse und Sammlerstücke warten darauf, durch den richtigen Blickwinkel entdeckt zu werden. Genau hier liegt einer der größten Reize von Gloomy Eyes: Das Erkunden fühlt sich an, als würde man in ein bewegliches Schaubild eintauchen, in dem jede Kleinigkeit durchdacht und gestaltet ist. Allerdings bringt die Kameraführung nicht immer perfekte Ergebnisse – in manchen Passagen ist sie etwas unpräzise, was in einigen Leveln zu Frust führen kann.
Insgesamt bleibt der Spielfluss aber stimmig. Die Rätsel sind abwechslungsreich, ohne unnötig kompliziert zu wirken. Manchmal gilt es, Türen zu öffnen, Aufzüge zu bedienen oder Gegenstände gezielt einzusetzen. Immer wieder werden diese Puzzle-Momente durch kleine Bosskämpfe aufgelockert, die das Tempo anheben. Auch wenn nicht alle dieser Kämpfe perfekt eingebettet sind, bleibt der Fokus klar auf Nachdenken und Erkunden statt auf hektischem Reagieren.
Besonders stark ist die audiovisuelle Gestaltung. Gloomy Eyes ist ein Spiel, das man ebenso gut anschauen wie spielen kann. Der visuelle Stil erinnert mit seinen großen Köpfen, überzeichneten Proportionen und düsteren Farben deutlich an Werke wie The Nightmare Before Christmas oder Coraline. Tim-Burton-Fans fühlen sich sofort zu Hause. Die Welt ist voller Details, jede Figur trägt zur Stimmung bei – sei es Nenas fast vampirisch wirkender Onkel oder die seltsam maskierten Kultisten, die dem Duo im Weg stehen. Auch der Soundtrack fügt sich nahtlos ein: melancholische Melodien, dezente Spannungsmomente und die ruhige, fast väterliche Stimme des Erzählers (gesprochen von Eric Nolan) tragen dazu bei, dass man vollends in die Geschichte eintaucht.
Die Story selbst ist eine Mischung aus düsterem Märchen und klassischem Drama. Nicht zufällig erinnern die Figuren und ihr Schicksal an Romeo und Julia: Zwei Welten, die einander hassen, zwei Kinder, die trotzdem zueinanderfinden. Die Liebesgeschichte ist subtil, aber spürbar, und sie verleiht der ansonsten tristen Welt einen Hauch von Wärme. Allerdings bleibt der Weltenbau stellenweise etwas vage – viele Fragen, etwa nach den Ursprüngen der Untoten oder den Gründen für den Hass der Menschen, werden nicht wirklich beantwortet. Wer tiefer in die Hintergründe eintauchen will, erfährt erst durch das Wissen um die ursprüngliche VR-Version von Gloomy Eyes mehr, die 2019 erschien und damals sogar Preise gewann. Dass das Spiel hier nicht alle Lücken schließt, ist schade, schmälert aber den emotionalen Kern der Geschichte nur bedingt.
Technisch ist Gloomy Eyes solide umgesetzt, wenn auch nicht makellos. Die Steuerung funktioniert gut, doch kleine Ungenauigkeiten – etwa beim Tragen von Objekten oder beim Kamerawechsel – können den Spielfluss kurzzeitig stören. Auch die fehlende Möglichkeit zum manuellen Speichern wirkt in manchen Situationen frustrierend, vor allem wenn ein Kontrollpunkt unglücklich gesetzt ist und man eine Zwischensequenz mehrfach ansehen muss.
Alles in allem ist Gloomy Eyes ein Spiel, das weniger durch perfekte Mechanik, sondern durch seine einzigartige Stimmung überzeugt. Es ist melancholisch, unheimlich und doch voller Charme – ein Spiel, das man fast mehr fühlt als spielt. Wer Rätsel liebt, wer Wert auf künstlerische Präsentation legt und sich gerne in eine poetische, makabre Welt ziehen lässt, wird hier bestens aufgehoben sein. Kleine technische Schwächen und einige erzählerische Lücken verhindern zwar den Sprung in die absolute Spitzenklasse, doch als atmosphärisches Erlebnis ist Gloomy Eyes absolut empfehlenswert.
Am Ende bleibt der Eindruck einer Reise, die man nicht so schnell vergisst. Gloomy und Nena sind Figuren, die man ins Herz schließt, und ihre Geschichte ist eine, die zum Nachdenken anregt – über Freundschaft, Vorurteile und die Frage, wie viel Licht man in einer Welt voller Dunkelheit finden kann. Für mich ist Gloomy Eyes damit eines der schönsten Indie-Erlebnisse des Jahres, ein Geheimtipp für alle, die Spiele nicht nur konsumieren, sondern erleben wollen.
Wir bedanken und bei den Entwicklern für den zur Verfügung gestellten Testzugang.
U. Sperling