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Mass Effect Andromeda | Review (PS4)

| Marc Heiland | Konsolen

MassEffect1Goethes Faust zermürbten um 1800 die Gedanken, dass er trotz mehrfach abgeschlossenen Studiums niemals Allwissenheit erlangen und somit niemals erfahren wird, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.  Dies führte zu den „zwei Seelen“ in seiner Brust: die eine will schlicht weg Feierabend (sprich: Selbstmord), die andere klammert sich ans Diesseits, ohne genau zu wissen warum. Der Grund meines inneren Zermürbens ist sehr viel bescheidener, einfacher (digitaler?): Mass Effect: Andromeda. Doch von vorn das Ganze.

(Bevor weitergelesen wird, sei darauf hingewiesen, dass ich die „alte“ Mass Effect-Trilogie als großartig erachtet habe und ein Fan des legendären Shepard-Commander (danke Legion ;-) ) war, daher kann ich meine journalistische Neutralität nur bedingt wahren!) 

Ich hole mal vom Urschlamm aus: Bereits mit Ankündigung eines neuen Mass Effect-Teils, war für mich klar, dass es gekauft wird, ohne auch nur einen Trailer gesehen zu haben. Warum? 1. Wie bereits erwähnt: Mass Effect 1 bis 3: weltklasse Spiele, 2. Bioware sind in Rollenspielen eine Bank. (Zu Punkt zwei später mehr.) Dann einige Zeit später voller Vorfreude die Disk eingelegt und bereits kurz nach dem Startbildschirm den ersten Dämpfer erhalten. Grund: Jüngling und Neu-Protagonist Ryder. Das Standardgesicht gleicht einem 14jährigen, schmächtigen Ersting`s Family-Model für Jungendmode mit lichtem Bartwuchs.  Daher wollte ich das Erscheinungsbild ein wenig... optimieren. Nachdem ich dann eine Weile experimentiert habe, nahm ich letztlich Standartmilchbubi Ryder, da mir keines der angebotenen Gesichter gefiel. An dieser Stelle spare ich mir jegliche Kritik: die zerschmetternde Kritik zu den Pfannenkuchen-Gesichtern und missglückten Mimiken und Gestiken fegte ja bereits mitsamt dazugehörigen, obligatorischen Shitstorm (furchtbares Wort!) quer durchs Internet. 

MassEffect2Da stand ich nun da und spielte das Intro. Nachdem klar war, worauf das Ganze hinausläuft, wurde der Spieler  in ein schier unendliches Universum (wahnsinnig geglücktes Wortspiel) aus Entscheidungsmöglichkeiten,  Quests und zu erkundenden Planeten übergeben. Verfolgt man die Hauptstory (keine Spoilergefahr!), wird einem schnell klar, dass man das Ganze irgendwo her kennt: Mass Effect rezitiert sich selbst. Natürlich könnte man meinen, was früher super gewesen sei, muss ja heute auch noch krachen, aber nur vom Erfolg längst vergangener Zeiten zu zehren, kann auch etwas nach hinten losgehen. Bestes Beispiel: Lodda  Matthäus. Der Gute erwähnt in jedem Satz, dass er Weltmeister wurde, macht sich heute aber nur als heiratswütiger, denglisch-stammelnder und schließlich nicht ernstzunehmender „Society-Fußball-Experte“ (oder wie auch immer seine offizielle Jobbeschreibung auch heißen mag) einen Namen.  Ähnlich Bioware: In der Story treten so viele Parallelen auf, dass man sich fragt, ob es Arroganz ist oder eine Hommage an die zahlende Fangemeinde war: Die Kroganer hassen immer noch alles und jeden und sind noch immer traurig wegen der Genophage, die Salarianer noch immer arrogante Wissenschaftler, Ryders Raumschiff wirkt irgendwie vertraut, die „Hauptbasis“ im Weltall erst recht und wir Menschen sind noch immer die junge Spezies, die niemand für voll nimmt. Das ein gewisser Shepard sein Leben ließ, um alles und jeden zu retten, ist selbstredend irrelevant. Man merkt also eine latente Statik im Mass-Effect-Universum. 

In Sachen Inszenierung geht Bioware leider und unverständlicherweise Lichtjahre zurück. Jeder, der Bioware-Spiele gespielt hat, wird gemerkt haben; inszenieren können die Jungs. Ob Dragon Age oder eben Mass Effect, die Videosequenzen waren immer großartig. WAREN immer großartig. Hier wurde versucht, mit neuer Engine vermutlich Kinoatmosphäre zu erzeugen, indem man Gefühle der Figuren vermittelt und eine satte Portion Dramaturgie und Aktion dazu kippt und kräftig umrührt. Das aber die Gesichtsanimationen eben solches nicht ansatzweise zulassen, sondern nur Kopfschütteln hervorrufen, kann keine Absicht gewesen sein.  So wirkt der Zoom auf Ryders Gesicht in gewissen dramatischen Situationen schlichtweg lächerlich. Empfehlung an Bioware: den Praktikanten, der in diesem Multimillionen-Dollar-Projekt für derartige Animationen verantwortlich ist, sofort feuern und nur noch Schlauchboote und Rheumadecken verkaufen lassen! 

Sieht man aber über diese Kritikpunkte hinweg und hat man die Trauer überwunden, dass Shepard wohl in den ewigen Jagdgründen verweilt und man sich die nächsten Wochen mit Mass-Effects Next Topmodel Ryder vergnügen muss/darf/soll, erwartet einen ein tolles Spiel mit enormen Suchtpotential. 

Allein von der Vielfalt, die man zusehen bekommt. Jeder Planet ist einzigartig in seiner Darstellung. Von der Eiswüste über einer aus Avatar bekannten ähnlichen Dschungelwelt bis hin zur hitzeüberfluteten Einöde wird dem Spieler jedes Spektrum an Klimazonen geboten. Zudem sind die Nebenquest innovativ und abwechslungsreich. Vermeintlich langweilige Quests entwickeln sich teils zu langen Folgequests mit unerwarteten Ausgängen. 

MassEffect3Eure Squad ist Bioware-typisch sehr heterogen: mit so ziemlich jeder Entscheidung entfacht eine Diskussion im Team.  Die Geschichte jedes einzelnen Charakters ist liebevoll ausgearbeitet und keine Individualmission ähnelt der anderen (gemeint sind jene, die eure „Freundschaft“ oder Ähnliches zum Protagonisten festigen, siehe bspw. Dragon Age).  Und apropos Entscheidung: diese sind genauso hervorragend ausgearbeitet wie beim „Vorgänger“. Ich erwischte mich selbst dabei, wie ich ein paar Mal den Controller zur Seite legte und überlegen musste, ob ich jetzt A oder B wähle. Kurzum: die Entscheidungen sind nicht nur schwarz/weiß, sondern haben teils Gewissensbisse zur Folge. Kompliment an Bioware, diesbezüglich kann sich verneigen. Ich habe tatsächlich extra Speicherstände erstellt, um nach dem Durchspielen die jeweils andere Entscheidung zu treffen.

Zum Gameplay als solches gibt es keine großartigen Erneuerungen, hier setzt Bioware auf Altbewährtes. Kleine Erneuerung: Nun hat der Spieler sogenannte Profile zur Auswahl. Das heißt, ihr könnt euch in von eurer KI in gewissen Situationen gewisse Spezialattribute freischalten lassen. Geht ihr in den Nahkampf, wählt ihr den „Soldaten“ damit die Schrotflinte noch mehr Schaden macht, snipert ihr geduldig alles weg, was bei drei nicht auf den Bäumen (oder in Sicherheit) ist, wählt ihr den „Infiltrator“, um euren Präzisionsgewehr einen Boni beim Anvisieren zu verschaffen. Eine nette Idee, ich nutzte diese Profile allerdings nicht ein Mal, trotz des hoch eingestellten Schwierigkeitsgrades. 

Die wohl gelungenste Erneuerung  ist die in eurem Schädel implantierte KI, namentlich SAM. SAM ist vergleichbar wie Jarvis von Tony Strak aka Iron Man aus den Marvel-Filmen und überstützt euch wo er (bzw. es bzw. sie?) nur kann. Leider ist SAM nicht so ironisch wie Jarvis, aber dennoch allemal eine gute Hilfe. So macht SAM euch auf abbaubare Mineralien aufmerksam, hilft euch mit Tipps im Storyfortschritt etc. Es gibt sogar eine Nebenmission speziell für SAM. Jemand verschlüsselte absichtlich eure Erinnerungen und je mehr Erinnerungsfragmente ihr sammelt, umso mehr enthüllt sich... zur Befriedigung der Neugierde bitte selbst die Hände an den Controller legen und Spaß haben;-)

7Fazit: Was bleibt, ist ein zweischneidiges Gefühl wie selten bei Computerspielen. Auf der einen Seite schmeckt das Ganze wie schon mal warm gemacht, auf der anderen Seite fühlte ich mich wie ins Jahr 2012 zurückversetzt, als ich mit Shepard das wohl großartigste Ende einer Trilogie spielte. Wem Mass Effect ein Begriff ist, sollte hier zuschlagen, wenngleich man bitte nicht die Erwartungen so hoch schrauben sollte (wie ich). Gibt man dem Spiel eine Chance und vergleicht es nicht bei jeder Gelegenheit mit den früheren Teilen (wie ich), wird man/frau mit dem Spiel sehr großen Spaß haben.

Die inn-joy Redaktion vergibt 7 von 10 Punkten.

Die inn-joy Redaktion bedankt sich bei Electronic Arts für das zur Verfügung gestellte Testexemplar.

B. Rosic

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