God of War | Review (PS4)
Als der neue Teil von „God of War“ angekündigt wurde, brach sich bei Fans der Serie eine unglaubliche Vorfreude Bahn. Endlich wieder durch Gegnerhorden schnetzeln. Endlich ein echter, neuer Teil und kein HD-Aufguss! Kratos auf der PS4 in 4K mit HDR. Das muss doch grandios werden! Als aber die Entwickler dann erklärten, Kratos sei dieses Mal nicht allein, sondern würde von einem Sohn begleitet, waren viele Fans ein wenig stutzig. Würde man künftig zwei Charaktere spielen? Würde sich die Story zu sehr auf den Jungen verlagern und weg von Kratos Geschichte? Und überhaupt: Wie soll Kratos in skandinavischen Gefilden, weit weg von seiner griechischen Heimat leben?
Doch dann kamen die ersten Trailer, die neugierig machten und zeigten, dass Sorgen um Kratos Zukunft unbegründet zu sein schienen. Zwar bot der neue Ableger der Reihe ein paar Ansätze, die sich vom alten Spielprinzip deutlich entfernten. Doch nach dem eher enttäuschenden „Ascension“ ist es nur ein logischer Weg, dass sich auch „God of War“ dem Trend der Zeit nicht länger verschließt und mehr bietet, als stumpfes Hack’n’Slay. Dass dabei allerdings einer der besten Titel seit Jahren herauskommen würde und das neue „God of War“ eine emotional tiefgehende Geschichte erzählt, die von der ersten bis zur letzten Sekunde den Spieler packt und dafür sorgt, dass man einfach den Controller nicht mehr aus den Händen legen will, damit hätte wohl niemand gerechnet.
Brummschädel mit Emotionen
Wer die bislang erschienenen Teile der „God of War“-Reihe gespielt hat, der weiß, dass es das Schicksal ganz übel mit Kratos meinte. Denn schon einmal wurden ihm seine Lieben genommen. Im Hass auf die Götter und im Hader gegen sein Schicksal, schwor er Rache und löschte den kompletten Olymp und die griechische Götterwelt aus. Klar, dass im antiken Griechenland kein neuer Teil stattfinden konnte. Gegen welche „Bossgegner“ hätte Kratos auch kämpfen sollen. Und so verschlägt es den bärtigen Spartaner im neusten Teil in die skandinavischen Gefilde. Dort lebt er mit Frau und Sohn Atreus. Doch halt! So ganz stimmt das nicht. Denn seine Frau ist zu Beginn des Spieles gerade verstorben. Wer oder was sie auf dem Gewissen hat, und warum Kratos ihr nicht helfen konnte, bleibt im Dunkeln. Und so beginnt das Spiel mit der Trauerzeremonie für die Mutter, bei der ihr in Tücher verhüllter Leichnam eingeäschert wird. Doch anstatt seiner Trauer endlich mal offen Ausdruck zu verleihen, schluckt der Spartaner seine Wut, seinen Zorn und seinen Verlust herunter und geht mit seinem Sohn auf die Jagd. Auch so kann man sich ablenken. Klar, dass Atreus die Reaktionen und das Handeln seines Vaters nicht nachvollziehen kann. Doch er weiß, dass es sich weder lohnt, noch Sinn macht, mit seinem Vater in tiefsinnige Gespräche einzusteigen oder sich seinen Befehlen zu widersetzen. Und so macht sich das ungleiche Gespann auf, einen Hirsch zu jagen. Diese Jagd dient allerdings nicht nur als Tutorial, sondern zeigt erstmals, dass die Entwickler von Sony Santa Monica Studios sich Gedanken um ihren Protagonisten Kratos gemacht haben. Denn im Gegensatz zu eindimensionalen Kratos, der sich früher durch unzählige Gegnerhorden geschnetzelt hatte, erleben wir einen viel emotionaleren Kratos. Natürlich steppt der Spartaner hier nicht durch die eisigen Landschaften und freut sich, wenigstens seinen Sohn am Leben zu wissen. Das wäre dann doch ein wenig zu viel des Guten. Doch es sind die kleinen Gesten, wie der Versuch, dem Sohn die Hand auf die Schulter zu legen, die zeigen, dass Kratos sich tatsächlich menschlicher gibt, als wir es von ihm kennen. Und genau das ist es, was dem neuen Teil so unglaublich gut zu Gesicht steht. Was wir an emotionaler Tiefe bei Sidekicks wie „The Last of Us“ schon angedeutet bekommen haben, wird hier auf der ganzen Bandbreite der emotionalen Klaviatur gespielt! Wenn das Feuer lodert und den Leichnam der Mutter verschlingt, wenn wir einen gebrochenen Kratos sehen, der seinem Sohn dennoch immer nur das Gute angedeihen lassen will, wenn wir aber auch sehen, wie er mit sich und seinem Schicksal hadert, dann sorgt das für absolut großartige Gänsehautmomente und packt mich als Papa noch einmal so stark. Denn irgendwo da drinnen steckt in jedem Mann ein Kratos. Eine der stärksten Szenen im ersten Drittel des Spiels ist die, in der Kratos in einem weißen Licht verschwindet (warum wollen wir nicht verraten) und die Stimme seines Sohnes hört. Er klagt seinen Vater an, dass er nie für ihn da war, gesteht ihm, dass er ihn eigentlich lieb hat und sorgt sich um das Wohlergehen seines Vaters und damit auch seiner selbst. Unglaublich, wie phantastisch das auf sprachlicher Ebene transportiert wird.
Überhaupt ist das, was mich besonders am neuen „God of War“ so fasziniert, dass Atreus kein dummer KI-Mitstreiter ist, sondern wie ein echtes Kind wirkt. Wenn sein Vater ihn wieder einmal anblafft, dann ist er zu Beginn verschüchtert, verängstigt und verstört, weil er all das nicht einordnen kann und von den eigenen Gefühlen, die mit dem Tod seiner Mutter auf ihn einbrechen, heillos überfordert ist. Doch im Verlauf der Spiels entwickelt sich nicht nur Kratos weiter, sondern auch sein Sohn. Atreus wird mutiger, wagt sich auch schon mal in der einen oder anderen Situation, seinen Vater zu kritisieren, stellt ihm Fragen, die den Spartaner aus der Reserve locken, ihn aber auch stellenweise komplett überfordern und erfragt sich die Welt durch die Augen eines Kindes. Zur Neugierde über das, was er immer wieder erlebt, sieht und von seinem Vater vermittelt bekommt, gesellt sich ein enormes Wissen über die nordischen Götter, die Sagen, Mythen und Legenden. All das hat ihm seine Mutter beigebracht. Auch wenn er nicht die Kraft seines Vaters besitzt und zu Beginn er zart besaitet daher kommt, ist es doch seine Cleverness, sein Wissen und die Tatsache, dass er beispielsweise Runen entziffern und so seinem Vater helfend zur Seite stehen kann, das, was ihn von anderen KI-Begleitern unterscheidet. Auch das aktive Eingreifen in Kämpfe ist eine wunderbare Ergänzung. So warnt er euch vor sich nahenden Feinden, nimmt seinen ganzen Mut zusammen, um sie zu bekämpfen oder hilft euch, mit einem Druck auf die Quadrat-Taste mittels verschiedener Arten von Pfeilen. Wenn ihr mal nicht weiter kommt, hat der Kleine Tipps auf Lager und erleichtert euch so manches Mal, eines der vielen Rätsel zu lösen. All das haben die Entwickler absolut organisch und zu keiner Zeit auch nur ansatzweise aufgesetzt in die Spielwelt eingebaut.
Apropos Spielwelt: Diese besteht eigentlich gar nicht aus einer Welt, sondern aus verschiedenen Welten, von denen ihr im späteren Spielverlauf eine Hand voll über den Weltenbaum Yggdrasil bereisen könnt. Thematisch sind diese alles ebenso verschieden, wie optisch. Doch dazu später mehr. Den eigentlichen Grund der Reise habe ich euch ja noch verschwiegen. Denn eigentlich erfüllen Kratos und sein Sohn „nur“ den letzten Wunsch der Mutter. Diese wollte nämlich auf dem höchsten aller Berge in alle Winde verstreut werden. Diesen Wunsch erfüllen die beiden also im Lauf des Spiels. Dass es dabei nicht einfach sein wird, kann man sich als Fan der Reihe vorstellen. Und in der Tat: Bereits nach wenigen Spielminuten bekommt es Kratos mit einem geheimnisvollen Fremden zu tun, der sich mit Kratos ein beeindruckendes Gefecht liefert. Dieser Fremde scheint in Verbindung mit dem nordischen Gott Odin zu stehen. Warum jedoch Odin und die anderen Götter ein Problem mit dem eigentlich friedlich scheinenden Kratos haben, ist da noch vollkommen unklar. Doch schon bald hetzen die nordischen Götter Kratos und seinem Sohn die unterschiedlichsten Wesen der nordischen Mythologie auf den Hals. Im Verlauf der Reise tauchen immer wieder verschiedene Unterarten ein und desselben Gegners auf. Da hätten wir uns mehr Abwechslung und Kreativität gewünscht. Auch gibt es nicht mehr so viele dicke Bossgegner wie früher. Diese sind dafür aber nach wie vor ein visueller Hochgenuss. Die Gegnertypen schreibt Atreus ins „Bestiarium“, sodass ihr über ihre Geschichte innerhalb der nordischen Sagen und Legenden mehr erfahrt.
Ein weiterer neuer Aspekt ist die Möglichkeit, Kratos und seinen Sohn rollenspielgerecht zu verbessern So könnt ihr über Talentbäume ihre Fähigkeiten optimieren, Waffen bei Zwergen verbessern lassen, Runen einbauen, Magiefähigkeiten einbringen und vieles andere mehr. Lebensenergie hinterlassen meist erledigte Gegner, Items findet ihr in Truhen – so wie gehabt. Auch die zügellose Wut, die ihr auf Knopfdruck entfesseln könnt, ist erneut mit dabei. Durch die Gegnerhorden schnetzelt sich der Spartaner allerdings dieses Mal nicht mit seinen Chaosklingen, sondern einer Axt, die – ähnlich wie bei Thors Hammer – auf Knopfdruck auf Gegner geworfen und zurückgerufen werden kann, Gegenstände vereist, um beispielsweise Seilzüge oder Räder anzuhalten und Bossen in den Hinter treten. Atreus nutzt Pfeile und Bogen, die ebenfalls verbessert werden können.
Atemberaubende Vielfalt
Ich könnte hier noch stundenlang über das neue Gameplay und die wunderbare Story schreiben. Doch zwei Aspekten will ich mich noch ausführlicher widmen. Zum einen ist das die Grafik, zum anderen die mehrschichtige Erzählweise. Kommen wir zu Grafik, über die im Vorfeld ja bereits viel berichtet wurde. Ich habe den Titel auf der PS4 Pro mit HDR-Support und einem 4k-Fernseher gespielt. Hier gibt es entweder die Möglichkeit, das Spiel im Auflösungs-Modus laufen zu lassen, wo konstant 30fps und 1080p erreicht werden oder im Darstellungs-Modus, wo das Spiel auf 2160p hoch gerechnet und ein wenig instabil in der Framerate ist. Doch ehrlich gesagt habe ich kaum etwas davon gemerkt. Wurde im Vorfeld noch gesagt, dass die Performance gerade bei hohem Gegneraufkommen deutlich in die Knie geht und die optischen Einschränkungen deutlich sind, so kann ich nach meiner langen Spielsession mit „God of War“ nur sagen: Dem ist nicht so! Macht euch nicht im Vorfeld kirre, sondern genießt den Titel in bestmöglicher Auflösung. Für mich persönlich ist „God of War“ mit deutlichem Abstand der bislang visuelle grandioseste Titel der PS4. Da poppt nichts ins Bild, gibt es kein Tearing oder schlecht aufgelöste Texturen, wie einige Kritiker gesehen haben wollen. Alles ist wunderbar organisch, Ladezeiten sind nicht vorhanden, die Welten strotzen nur so vor Detailvielfalt und Fülle und alles wirkt beseelt und wie aus einem Guss.
Getoppt wird das Bildschirmgeschehen noch von den exzellenten Synchronsprechern, die eine wunderbare Arbeit verrichten. Auch wenn es ziemlich schnell nervt, dass Kratos in den meisten Fällen seinen Sohn mit einem schroffen „Junge“ anspricht, und nicht bei seinem Vornamen, so passt das einfach zum schroffen Spartaner. Doch „God of War“ spielt nicht nur auf dieser „äußeren“ Erzählebene. Auch sein Sohn gibt durch das eigene Wissen enorm viel preis und lässt uns Spieler tiefer in die Welt der nordischen Mythologie abtauchen. Wenn dann später noch der „sprechende Kopf“ und Odins Begleiter Mimir hinzu kommt und die beiden auf ihrer Reise begleitet, gibt er ebenfalls sein Wissen zum Besten und erweitert die Erzählung um eine zusätzliche Ebene. Einfach nur grandios!
Auch wenn sich „God of War“ noch immer recht linear spielt, haben die Entwickler einige Geheimpassagen, Alternativrouten und Räume hinzugefügt, die euch viele Möglichkeiten bieten, euren Sammler- und Entdeckertrieb zu befriedigen. So verlängert sich die Spielzeit angenehm, ohne dass es dabei aufgesetzt oder künstlich in die Länge gezogen erscheint.
Fazit: Ich habe einige Zeit überlegt, ob ich dem „neuen“ God of War neun oder doch zehn Punkte geben soll. Warum es dann schlussendlich die Höchstnote geworden ist? Weil es so vieles perfekt oder um Längen besser macht, als vergleichbare Spiele, dass die wenigen Macken, die es dann doch aufweist, so klein im Vergleich mit dem Rest wirken und in den Hintergrund rücken lässt, dass das groß Ganze einfach überwiegt. Die grandiose Grafik, die mit zum Besten gehört, was wir bis dahin auf Konsolen erleben durften, die überarbeitete Spielmechanik, die einfach und schnell in Fleisch und Blut über geht, die Rollenspielelemente, die natürlich aus vielen anderen Spielen bekannt sind, aber für die God of War-Reihe eine erfrischende Neuerung bieten, das neue, unverbrauchte Setting und - allen voran – die unglaubliche Reise von Kratos und seinem Sohn. Man muss gar nicht selbst Vater sein, um die emotionale Wucht der beiden Protagonisten, mit deren Verletzlichkeit, Angst, Sorgen etc. sie aufeinander prallen, bis ins Kleinste nachspüren zu können. Doch es ist schon sensationell, wie man sich als Vater selbst an einigen Stellen wiederfindet und dann auch empfinden kann, wie sich Kratos oder Atreus in dieser oder jener Situation fühlt. Für mich ist das aktuelle God of War bislang der beste Titel des aktuellen Spielejahres, der die Messlatte verdammt hoch legt. Wie das ein möglicher Nachfolger noch toppen soll, ist mir allerdings nach diesem furiosen „Roadtrip“ ein Rätsel. Doch ich lasse mich natürlich von Sonys Santa Monica Studio auch beim nächsten Ableger (den es dann allerdings wohl erst für eine kommende Konsolengeneration geben dürfte) eines Besseren belehren. Bis dahin kann ich nur jedem Besitzer einer PS4 (oder denen, die mit dem Kauf bislang noch gehadert haben) zum Kauf des Spiels raten, zumal es auch auf den anderen Konsolen keinen vergleichbaren Titel derzeit gibt.
Die inn-joy Redaktion vergibt 10 von 10 Punkten.
Die inn-joy Redaktion bedankt sich bei Sony für das zur Verfügung gestellte Testexemplar.
U. Sperling