V-Rally 4 | Review (Xbox One)
Nachdem jahrelang die „Colin McRae Rally“-Serie und die „DiRT“-Reihe das Genre der Rallye-Spiele dominierte, kehrt nun mit „V-Rally 4“ die Mutter aller Rally-Spiele auf die heimischen Konsolen zurück. 16 Jahre nach Erscheinen des dritten Teiles auf PS2, Xbox, GameCube und Co. hat sich der Entwickler Kylotonn Racing Games der Rally-Reihe angenommen. Ob der Titel nach dieser langen Zeit in der Versenkung an die alten Tugenden anknüpfen kann und mit der starken Konkurrenz mithalten kann, erfahrt ihr in unserem Test der Xbox One-Version.
Zurück zu den Wurzeln oder ein völliger Neuanfang?
Nun zur Abwechslung also mal kein WRC von Kylotonn, sondern die Rückkehr der legendären V-Rally-Serie. Dieser Gedanke wir wohl den meisten Fans des Offroad-Racer Genres gekommen sein, als die Entwickler des neuen Ablegers bekannt gegeben wurden. Zwar immer mit einem schmaleren Budget ausgestattet, als Codemasters und Konsorten, dafür allerdings mit jeder Menge Expertise in Sachen Rennsport, versucht es Kylotonn nun also mit V-Rally 4.
Kommen wir also nun zum Spiel. Dieses umfasst fünf unterschiedliche Disziplinen. Diese sind Rallycross, Hillclimb, Extreme-Khana, Etappenrennen und Buggie-Rennen. Der Fuhrpark ist mit rund 50 Fahrzeugen, die ihren realen Vorbildern bis ins Detail nachempfunden wurden recht klein ausgefallen und auch die Streckenauswahl ist mit knapp über 20 nicht sonderlich opulent. Dafür tretet ihr in 17 Ländern rund um den Globus an, was für einige optische Abwechslung sorgt. Doch was sich nicht als sonderlich umfangreich liest, entpuppt sich in der Praxis als erstaunlich komplex, da die Strecken in der Karriere per Zufall neu generiert werden. So bleibt die Langzeitmotivation – theoretisch – erhalten.
Innerhalb der Karriere beginnt ihr als Newcomer und müsst euch zunächst eure Sporen verdienen. Dabei seid ihr jedoch nicht allein, sondern erhaltet eine Agentin, die euch in die Spielmechaniken einführt. Später bekommt ihr ein Team an die Seite gestellt mit Mechanikern, Managern und Forschern, die euren Wagen flott machen und euch neue Events freischalten. Je besser diese arbeiten, umso effektiver könnt ihr euer Fahrzeug aufrüsten und schneller reparieren. Doch Fachpersonal kostet Geld und so müsst ihr euch Sponsoren suchen, möglichst viele Rennen gewinnen und aufpassen, dass ihr euch nicht schon früh im Spiel verschuldet, zumal die Teilnahme an manchem Event auch Startgebühren voraussetzt.
Was in der Theorie ganz interessant klingt, entpuppt sich allerdings in der Praxis als recht dröge. Teammitglieder anwerben, Teile erforschen und anbringen lassen – all das hätte spektakulärer inszeniert werden können, als über eine Übersichtskarte. Auch das Tunen fällt eher rudimentär aus, statt in Feinarbeit, wie bei so manchem Mitbewerber. Was mich persönlich dabei besonders gestört hat, ist die ewig gleiche Musik, die in der Übersichtskarte geboten wird. Spätestens nach dreimaligem Hören ist man da komplett überdrüssig.
Rasch überdrüssig kann man auch der wenig motivierenden Karriere werden. Hier wird weder eine packende Geschichte erzählt, noch gibt es eine Rangliste oder sonst irgendetwas, dass auf Dauer fesseln kann. Das stupide Abarbeiten von Rennen ist doch ziemlich 1990er. Hinzu kommt, dass die KI der Gegner unglaublich schwankt. Egal, ob ihr diese auf ganz leicht oder schwer stellt, haben manche Fahrer einfach die weit besseren Fahrzeuge und brettern euch ruckzuck davon. Dass ihr nicht immer mithalten könnt, liegt aber auch nicht nur an der KI der Mitstreiter, sondern auch an der teilweise nicht wirklich guten Steuerung. Einige Boliden schwimmen regelrecht über die Piste. Ohne Lenkrad braucht ihr eigentlich gar nicht anzutreten. Wer einen „Spaßflitzer“ im Sinne eines Forza Horizon erwartet, ist hier sowieso fehl am Platze, da sich die Entwickler eindeutig an Simulation und Realismus versuchen, auch in Sachen Schadensmodell. Mit Einschränkungen gelingt ihnen das sogar. Doch ein extrem realistisches Schadensmodell sucht ihr bei V-Rally 4 ebenso, wie eine akkurate Fahrphysik. Vor allem bei teilweise extrem langen Strecken kann so etwas zu Frust führen.
Schwach in der Pflicht, stark in der Kür?
Während der Titel vor allem in Sachen Steuerung deutlich Federn lässt und euch durch eine dröge Karriere schickt, bekommt ihr in Punkto Grafik den mit Abstand hübschesten Titel von Kylotonn geboten. Natürlich kann das Spiel nit mit Forza Horizon 4 mithalten (insofern wir das schon sagen können) und auch nicht mit dem Vorgänger. Und dennoch bietet V-Rally 4 optisch ansprechende und abwechslungsreiche Strecken. Wenn ihr in Afrika durch die Steppe oder Dörfer fahrt, in Asien zwischen Reisterrassen über die Piste jagt und im Hintergrund die malerischen Gipfel oder Pagoden seht, dann kann schon mal das Fernweh locken. Auch die Lichteffekte sind sehr ansprechend und sorgen für zusätzliche stimmungsvolle Atmosphäre. In einigen Momenten habe ich mich während der Testrennen dabei ertappt, wie ich am Liebsten den Wagen angehalten hätte, um auszusteigen, und die Landschaften zu bewundern. Etwas schwach auf der Brust sind hingegen die Wettereffekte, die gegenüber den Mitbewerbern deutlich hinterher hinken. Fließende Tages- und Nachtzyklen sind ebenfalls Mangelware. Dass Kylotonn dann auch mit einer nicht allzu aktuellen Engine arbeitet, erkennt man spätestens dann, wenn es anfängt hier und da zu ruckeln und das Bildschirmgeschehen nicht an die 30fps heran kommt
Fazit: Da wäre mehr drin gewesen, liebe Entwickler von Kylotonn. Warum setzt ihr uns ein Spiel vor, dass stellenweise absolut schlecht zu fahrende Fahrzeuge bietet, wenn es doch genau um diese geht? Warum ist die KI so schwankend und warum treten sie oft in viel zu dominanten Fahrzeugen an? Warum ist die Karriere so nichtssagend und warum sind die Menüs dermaßen dröge gehalten? Warum habt ihr es nicht mal geschafft, die Songs im Menü abwechslungsreich zu gestalten? All das ist verschenktes Potential und zeigt wieder einmal, dass es eben doch nicht immer – trotz aller Expertise – für einen top Rallye-Titel reicht, wenn man nicht die ganz Großen der Branche im Rücken hat. Schade um die zahlreichen liegen gelassenen Chancen!
Die inn-joy Redaktion vergibt 6 von 10 Punkten.
Die inn-joy Redaktion bedankt sich bei Bigben Interactive für das zur Verfügung gestellte Review-Exemplar.
U. Sperling