Metro Exodus | Review (Xbox One)
| Marc Heiland | Konsolen

Von Mutanten, Motordraisinen und russischer Folklore
Artjom hat es nicht leicht. Seit langer Zeit versucht er, die Bewohner der Metro davon zu überzeugen, dass es außerhalb des atomverseuchten Gebietes in Moskau noch Menschen und nicht verstrahlte Regionen gibt. Doch leider glaubt ihm das niemand. Erst nachdem sie gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen, erkennen Artjoms Freunde, dass er Recht hatte. Nun beginnt eine lange Reise, die zahlreiche Höhen und Tiefen mit sich bringt. Während dieser Reise wächst die Mannschaft des Zugs, mit welchem ihr unterwegs seid, enger zusammen. Nur einer bleibt gefühlt außen vor: Held Artjom. Denn während alle NPCs ihre Gedanken miteinander teilen, schweigt sich euer virtuelles Alter Ego die ganze Zeit über aus. Zwar hört ihr Artjom während der Ladebildschirme vor einer Mission. Doch darüber hinaus gibt es außer einigen Geräuschen keine einzige Silbe von ihm zu hören. Das ist nicht nur nervig, da man so keinerlei Chance hat, sich auch nur ansatzweise mit Artjom zu identifizieren; es ist in einigen Sequenzen auch absolut dämlich. Dann nämlich, wenn Artjom in ein Gespräch verwickelt werden oder entscheiden soll und das Ganze ohne ein einziges Wort bzw. Argument abläuft. Dann wird einfach mal bestimmt, was passiert, ohne eine Interaktion. Auch sonst passt Artjoms Schweigen nicht ins Bild des Kämpfers und Spähers, der von seinem Schwiegervater, dem Major, auch schon mal angeblafft wird. Durch diese Entscheidung vergeben die Entwickler Potential und Atmosphäre.
Apropos Atmosphäre: Diese ist äußerst zwiegespalten. Denn auf der einen Seite baut der Titel eine dichte Atmosphäre mithilfe einer unglaublich dichten Surround-Kulisse auf, die vor allem in den dunklen, engen Levels überzeugen kann und für so manchen adrenalinhaltigen Moment sorgt, vor allem dann, wenn ihr über Atmos-Boxen verfügt. Andererseits bricht die Atmosphäre dann, wenn NPCs wild durcheinander reden, da die Dialoge nicht immer gut getimt sind und sich bei NPC-Soldaten viel zu oft wiederholen. Auch die stellenweise wirklich alberne Hampelei einiger Figuren während der Bewegungsabläufe und die hölzernen Gesichter stören die Atmosphäre. Hinzu kommen die nicht immer zu Ende gedachten Levelentscheidungen und die grottige KI. Die Levels sollen offener und freier wirken, als noch in den beiden Vorgängern, sodass ihr hin und wieder mit Fahrzeugen unterwegs seid. Diese besitzen allerdings keinen Mehrwert. Auch das freie Erkunden ist nicht zu jeder Zeit möglich. Besonders nervig ist, dass man bei der Benutzung von Leitern die X-Taste länger halten muss oder auch beim Öffnen von Türen. Beim Klettern ist es sowieso sehr komisch, dass Artjom sich hier und da an höheren Stellen emporziehen kann. An anderen Stellen, wo ihr nur einen kleinen Hüpfer machen müsstet, dürft ihr dies jedoch nicht tun, weil das Spiel es nicht will.
Die eben angesprochene Gegner-KI ist ein Zeichen von inkonsequenter Umsetzung. Denn hier gibt es keinen einzigen Gegner, der euch über die Flanken angreift, keine Gegner, die aufgeschreckt werden, wenn ihr einen Kollegen in unmittelbarer Nähe ermordet, keine cleveren Schachzüge und „Bossgegner“ lassen sich mit einfachen
Tricks ausschalten. Ebenfalls schade ist, dass die an Werkbänken aufrüstbaren Waffen nicht immer treffsicher zielen. Überhaupt: Das Craften beschränkt sich leider auf eine Handvoll Optionen und das Sammeln von Rohstoffen wird eher zum nervenden Beiwerk, als zur motivierenden Aufgabe.

Abwechslungsreich und doch bekannt
Schade ist, dass die Entwickler euch zwar eine wirklich tolle Grafik und abwechslungsreiche, vor Dertails strotzende Level anbieten, einige von ihnen jedoch wie aus den Vorgängern erneut verarbeitet anfühlen. Gerade die Innenlevels kommen uns bekannt vor. Auch die Tatsache, dass jede Gruppe über einen Anführer verfügt, der einen Spleen hat und seinen „Clan“ dementsprechend ausrichtet, zeugt nicht von überbordender Kreativität. Immerhin sehen sämtliche Level toll aus, werden in 4K dargestellt und bieten sogar HDR-Support. Auf unserem OLED-TV sah das wirklich grandios aus. Andererseits leidet das neue „Metro: Exodus“ unter nachladenden Texturen, teilweise kleinen Rucklern und einigen Freezes. Auch hier fehlt der Feinschliff bis zum letzten Pixel. Trotz detailreicher Level ist man von der grandiosen Welt eines „Red Dead Redemption 2“ weit entfernt. Vor allem die unglaublich langen Ladezeiten sollten (ebenso wie die anderen Schwächen der Engine) eigentlich auf der Xbox One X der Vergangenheit angehören.
Bei den die Landschaften bevölkernden Mutanten hat man sich in Sachen Gestaltung ordentlich ins Zeug gelegt. Doch wenn man dann auf den gefühlt Hundertsten Klon geschossen hat, wird es mit der Zeit recht monoton. Selbiges gilt für die einzelnen Clan-Mitglieder, von denen es unzählige Krieger aus der Klonfabrik gibt. Dieses Problem kennen Veteranen der Reihe aus den Vorgängern. Indidivualität, wie bei den Protagonisten, ist hier leider nicht vorgesehen.
Fazit: „Metro: Exodus“ spielt sich wie eine Mischung bekannter Spiele wie „Far Cry“, „Rage“ und ähnliche Genrevertreter. Und auch wenn der Weg an die Oberfläche mehr Spaß macht, als die ewige Dunkelheit der Metro, kommt es immer wieder zu Brüchen mit der Spielwelt und starken Einschränkungen in der Atmosphäre. Dies liegt vor allem am schweigenden Helden, der uns jegliche Identifikationsmöglichkeit im Ansatz nimmt, der strunzdummen KI, der Tatsache, dass einige Level in ähnlicher Form schon mal gesehen wurden und den insgesamt zu wenigen Gegnertypen. Denn irgendwann hat man sich an den Mutanten satt gesehen, mehr als ausreichend Spinnen, Ratten und sonstigem Getier besiegt und dann bricht auch die letzte Motivation ein. Einzig die insgesamt gut geschrieben Story, die uns als Spieler motiviert und klar macht, warum wir von A nach B zu C reisen müssen, punktet und hält bei der Stange. Für einen möglichen vierten Teil sollten die Schwächen jedoch ausgemerzt werden. Für Fans der Romane ist es bedauerlich, dass der dritte Teil nichts mehr mit den Büchern zu tun hat und Anknüpfungspunkte nahezu vollkommen fehlen. Auch ist es unverständlich, warum es in der eigentlich guten Story zu vielen Brüchen kommt, Zusammenhänge nicht immer dargestellt werden, soziale Themen zwar angeschnitten aber nicht vertieft werden und im Endeffekt Handlungen nur kleinere Konsequenzen mit sich bringen. Auch die emotionalen Sprünge
und Verkürzungen sind nur schwer nachzuvollziehen. Hier müssen die Entwickler für einen potentiellen Nachfolger mehr in die Tiefe gehen, anstatt an der Oberfläche zu kratzen. Unterm Strich kann man sagen, dass hier doch eine Menge Potential unnötig liegen gelassen wurde.

Die inn-joy Redaktion vergibt 7 von 10 Punkten.
Die inn-joy Redaktion bedankt sich bei Koch Media für das zur Verfügung gestellte Testexemplar.
U. Sperling