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| Marc Heiland | Konsolen

KCD2Bild0Eines gleich vorweg: Wer an dieser Stelle einen Test mit Kaufempfehlung erwartet, der kann diesen Artikel getrost ignorieren. Denn trotz der Tatsache, dass wir „Kingdom Come Deliverance 2“ (KDC2 im Folgenden abgekürzt) seit Anfang Januar testen konnten, soll es im Folgenden nicht – wie in der Regel – um die Spielerfahrung in unserer Redaktion gehen. Vielmehr wollen wir euch aufzeigen, wie ein und dasselbe Spiel von einem Einsteiger und einem „Intensivspieler“ (auch des Vorgängers) ganz anders gesehen wird.

Denn auch wenn Vorkenntnisse aus dem Vorgänger nicht bekannt sein müssen, da sie zu Beginn des zweiten Teils ganz gut zusammengefasst werden, und der Nachfolger mit weiterentwickelten Elementen punkten will, bietet der doch einige Dinge, die Anfänger unnötig nerven können, aber auch bei „Profis“ für ein paar Frustmomente sorgen. Was das ist und welche Gemeinsamkeiten wir vielleicht doch noch während unserer Zeit in der Welt von „KCD2“ gefunden haben, klären wir jetzt.

Eine tolle Immersion

Da ist er also wieder: Heinrich von Skalitz, der Protagonist aus „KCD“, den wir bereits 2018 im ersten Teil durch das spätmittelalterliche Böhmen des Jahre 1403 begleiten durften. Auch „Kingdom Come: Deliverance 2“ spielt im Königreich Böhmen zur gleichen Zeit. Ihr befindet euch also erneut in den Konflikten und gewalttätigen Auseinandersetzungen, die historisch in dieser Zeit vorgefallen sind, namentlich der Thronstreit zwischen der ungarischen und der böhmischen Herrscherlinie und der Entführung des Königs Wenzel durch seinen Halbbruder, der selbst den Thron für sich in Besitz nahm. Mitten drin in diesem Konflikt, der nun vollständig eskaliert ist und mit der Belagerung einer Burg beginnt, um euch mit der Steuerung vertraut zu machen, seid ihr. Da ihr Wenzel unterstützt, versuchen die Gegner von Wenzels Halbbruder euch aus dem Spiel zu nehmen. Die Geschichte ist dabei eine der Stärken des Spiels und sehr gut ausgearbeitet und auch die Nebenquests glänzen mit spannenden Geschichten, unerwarteten Wendungen und vielen interessanten Charakteren. Und auch der Humor kommt immer wieder zum Tragen. So kommt euer adeliger, aber doch ziemlich überheblicher Freund Hans gleich in der ersten Viertelstunde ordentlich in Bedrängnis und zieht euch damit hinein. Doch anstatt sauer auf ihn zu sein, werdet ihr mit Sicherheit schmunzeln.

KCD2Bild1Eingebettet ist die Handlung in eine beeindruckende Grafik, die auf der PS5 Pro ihre Muskeln spielen lässt und nicht nur ein äußerst glaubwürdiges Böhmen der damaligen Zeit auf den Fernseher zaubert (was daran liegt, dass sich die Entwickler wieder so nah als möglich an der Realität und der historischen Quellenlage orientierten), die erneut eine der glaubwürdigsten Spielwelten der vergangenen Jahre bietet. Durchbrochen wird sie selten durch einzelne Charakter-Klone bei den NPCs oder auch Problemen mit der KI. Ansonsten gehen die Figuren erneut ihrem Tagwerk nach, ruhen bei Nacht und reagieren situationsbezogen auf eure Handlungen. Je nachdem, ob ihr euch vorab geprügelt habt oder mitten in einem Konflikt mit Blut befleckt seid, werden die NPCs euch anders empfangen als in feinem, gepflegten Zwirn.

Der Rollenspiel-Anteil ist größtenteils unverändert aus Teil eins übernommen worden: Heinrich muss nach wie vor regelmäßig essen und trinken, schlafen und Medizin einnehmen. Hat er beispielsweise ein Schlafdefizit, so wird er in seinem Bewegungen langsamer, die Augen fallen im sichtbar zu (da ihr in der Ego-Perspektive spielt) und er gibt dies kund. Das erinnert an eine Mischung aus den Sims und den legendären Tamagochis. Was für Kenner von Rollenspielen zum normalen Alltag gehört, kann Einsteiger schon frustrieren, zumal Betten nicht immer in der Nähe sind und die Schnellreise möglicherweise unbekannte Gefahren birgt.

Und hier taucht ein Problem auf. So begegnete uns in einer Quest beispielsweise eine Kräuterfrau auf, die wir unterstützten und bei der wir in die Alchemie eingeführt wurden. Speichern können wir hier durch den so genannten „Retterschnaps“, den es schon im Vorgänger gab und den wir dieses Mal auch recht früh selbst zu brauen lernen oder in Betten, bei denen wir darauf hingewiesen werden. Schlafen wir jedoch außerhalb der Quest bei derselben Frau, werden wir mitten in der Nacht geweckt und können uns nur gegen einen gewissen Betrag vor dem Pranger retten. Alternativ flüchten wir, werden aber dann verfolgt. Solche Dinge kommen im Spiel einige Male vor und sind eine nicht so schöne Entscheidung der Entwickler, da sich Quest und freies Spiel gegenseitig torpedieren. Immerhin können wir nun das Spiel speichern und beenden, was manchmal uns aus brenzligen Situationen herausholen kann. Da es keinen richtig anpassbaren Schwierigkeitsgrad gibt, ist das Spiel vor allen für Neulinge kein Zuckerschlecken.

Denn von diesen gibt es reichlich. So begegneten wir in einer Quest, die wir fast abgeschlossen hatten, einem Gegner hinter einer nicht einsehbaren Biegung. Dieser verfolgte uns und schlug ohne Ankündigung auf uns ein. Was folgte waren zwei Hiebe mit einer schweren Waffe und wir mussten die Quest erneut aufnehmen. Frust pur!

Dies gilt auch für die zahlreichen Kämpfe, denen man teilweise – aber nicht immer – aus dem Weg gehen kann. Zwar sind sie optimiert worden. Aber wer Heinrich nicht entsprechend aufgelevelt bzw. die Attribute verbessert oder den Kampf gelernt hat, der hat selten eine echte Chance. Die Kämpfe sind auch nicht wirklich unterhaltsam und auch unser Experte war nicht selten frustriert. Ab und an hatten wir im Test auch das Gefühl, dass hier mehr Glück als Können über den Ausgang eines Kampfes entscheiden.

Was die Möglichkeiten anbelangt, Heinrichs Attribute zu verbessern, neue Rüstungen und Waffen zu bekommen und Rohstoffe zu sammeln, schöpft Entwickler Warhorse Studios erneut aus dem Vollen. Was Einsteiger schnell überfordern kann, ist für Kenner des Genres ein wahres Paradies. Ja: Es gibt jede Menge Realismus und ja, nicht jede Waffe kann genutzt werden. Aber wer nicht wirklich nach dem Besten sucht, der wird schnell verärgert sein. Gleiches gilt übrigens auch für den Taschendiebstahl, der nicht immer vernünftig funktioniert. Um in den Quests und Situationen voranzukommen und den für euch optimalen Ausgang zu erzielen, müsst ihr Heinrich in verschiedenen Talenten wie der Redekunst verbessern. Dafür zeigt euch das Spiel die gegnerischen Fähigkeiten an. Liegen eure Werte darüber, können Gespräche zu euren Gunsten gelenkt werden. Vorausgesetzt, die Dialoge bzw. Handlungen werden effektiv gesetzt. An Dialogen mangelt es dem Titel wahrlich nicht. Wir haben selten ein Spiel erlebt, in dem so viel gesprochen wird. Umso mehr sind wir begeistert, dass alles auf Deutsch lokalisiert wurde und wir nicht gezwungen werden, stundenlang Untertitel lesen zu müssen. Hier hat „KCD2“ seine weitere Stärke, die es gnadenlos ausspielt und auch hin und wieder durch diese konsequent angewendete Entscheidung Frust hervorrufen kann. Alles, was ihr tut, wie ihr euch entscheidet und verhaltet, hat Auswirkungen auf euer Ansehen, Feinde und Verbündete und anderes mehr. Helft ihr Banditen, werdet ihr gejagt. Helft ihr Soldaten, verscherzt ihr es euch unter Umständen mit der einfachen, aber auf die Soldaten schlecht zu sprechenden Bevölkerung.

Dass so etwas in einer derart großen, offenen Spielwelt funktioniert, ist das große Wunderwerk hinter „KCD2“.

KCD2Bild2Mit den Freiheiten kann man aber auch überfordert werden, da es hier Unmengen an Beschäftigungen jenseits der Hauptquest zu tun gibt. So könnt ihr beim Schmied die Schmiedekunst erlernen, könnt im Glückspiel Geld gewinnen, um euch beispielsweise neue Waffen und Kleidung zu kaufen und vieles, vieles mehr. Auch begegnet ihr Randgruppen, wie einer Gruppe von Zigeunern, die außerhalb der Dörfer leben und ihre eigenen Sorgen, Nöte und Quests für euch haben. Wichtig ist, dass ihr möglichst schnell ein Pferd erhaltet, da es sonst nervend sein kann, stundenlang zu Fuß durch die Spielwelt zu stiefeln. Auch euer Hund, den ihr wiederfinden müsst, ist ein wichtiger Helfer, vor allem gegen eure Feinde. Dass auch „Kingdom Come: Deliverance II“ ein Zeitfresser ist, wird schon innerhalb der ersten Stunden spürbar. Über 100 Stunden sind für Hauptquest und Nebenmissionen einzuplanen. Wer die Zeit hat, bekommt dafür eine Menge zu tun.

Fazit: "Kingdom Come: Deliverance II" bietet eine unglaubliche Immersion, Tonnen an Herausforderungen und enorm viel Spiel fürs Geld. Da es aber auch einige frustrierende Elemente gibt, die Anfänger – aber auch hier und dort – Profis fordern bzw. überfordern können. Solltet ihr überlegen, ob ihr eine hohe Frusttoleranz habt. Lasst ihr euch auf all das ein, was euch das Spiel bietet, erlebt ihr ein wirklich tolles Rollenspiel. Seid ihr jedoch Neuling, werdet ihr schnell von den zahlreichen Möglichkeiten, Heinrich zu verbessern, überfordert sein, da das Spiel nicht immer alles vernünftig erklärt. Besonders nervig ist das Speichersystem, der nicht vorhandene Schwierigkeitsgrad sowie einige unausgewogene Spielentscheidungen.

Wir bedanken uns bei den Entwicklern für den zur Verfügung gestellten Testzugang.

U. Sperling, L. Zimmermann

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