Atomfall | Review (PS5)
Die Älteren unter euch erinnern sich vielleicht noch an der Reaktorunglück in der ukrainischen Stadt Chernobyl. Damals kam es zu einem atomaren Unfall, dessen Folgen bis in die Gegenwart spürbar sind, nicht zuletzt durch den Versuch, den äußeren „Sarkophag“ vor dem Verfall zu schützen. Aber wusstet ihr auch, dass es im englischen Örtchen Windscale beinahe einen ähnlichen Vorfall im Jahr 1957 gegeben hätte? Nur knapp entging Europa damals einer großen Katastrophe.
Diesen Vorfall haben die Entwickler von Rebellion, die sich bislang vor allem durch die „Sniper Elite“-Serie einen Namen gemacht haben, als historische Basis für ihr Spiel „Atomfall“ genommen und es weitergesponnen. Denn was wäre passiert, hätte der Unfall ein ähnliches Ausmaß gehabt, wie der GAU in der Ukraine? Dieses Szenario malen die Entwickler aus und schmücken ihre Spielwelt mit allerhand postapokalyptischer Atmosphäre, aber auch jeder Menge abgedrehter Figuren in ihrem Survival-Actionspiel „Atomfall“.
Die alte Frage: Wer bin ich und warum bin ich hier?
Viele Spiele bedienen sich des Kniffs, euch als ahnungsloser Charakter in eine unbekannte Welt zu entlassen, in der ihr euch einerseits zurechtfinden, andererseits aber auch herausfinden müsst, wer ihr seid und was geschehen ist. Diesen Weg gehen die Entwickler von Rebellion auch hier. Ihr startet mitten in der Sperrzone rund um das AKW Windscale und erkennt schon von Weitem, dass ihr etwas ziemlich Schlimmes vorgefallen ist. Warum ihr dort seid und was euer Ziel ist, bleibt zunächst unklar. Ihr erfahrt etwas von einem Übergang, zu dem ihr gelangen sollt. Durch eine Bunkeranlage kommt ihr dort hin. Die ersten Minuten erinnern so ein wenig an die „Fallout“-Reihe, was so gewollt ist, ohne, dass jedoch viel vom Vorbild genutzt wird. So bietet „Atomfall“ einige eigene Ansätze und geht seinen Weg.
Die Handlung von „Atomfall“ entspinnt sich in erster Linie – auch das ist genretypisch – durch das Finden von Mitteilungen und das Anhören von Audionachrichten. Dummerweise müsst ihr euch selber ein Bild davon machen, wer oder was euer nächstes Ziel ist, wie ihr vorankommt oder wohin ihr müsst. Das Spiel selbst hält sich da sehr vage. Das kann zum einen gerade Neulinge nerven, ist aber für Veteranen eine durchaus angenehme Erfrischung, da ihr nicht immer sofort wisst, was als Nächstes kommt. Allerdings könnt ihr euch auch einige Hilfen hinzuschalten. Das macht es zwar nicht unbedingt einfach, erleichtert so manche Mission allerdings ein wenig. Dadurch, dass ihr keine exakten Vorgaben vom Spiel erhaltet, entdeckt und erkundet ihr aber auch mehr, als ihr es sonst möglicherweise machen würdet. Denn einfach von einem Punkt zum anderen zu laufen, mag zwar ganz nett sein, nimmt aber jedem Spiel auch einen gewissen Zauber, da sich die Entwickler viel Mühe gegeben haben, was beim sturen geradeaus Laufen manchmal überhaupt nicht wahrnehmbar ist.
Gute Charakterzeichnung mit kleinen Schwächen
Die NPCs und auch die wichtigen Charaktere im Spiel sind allesamt gut gezeichnet und haben teilweise ihr eigene, kleinen Geschichten. Die Charaktere in „Atomfall“ gehören unterschiedlichen Fraktionen an, mit denen ihr euch entweder gut stellt oder sie eher links liegen lasst (oder sogar bekämpft). Macht ihr euch die eine Gruppe zum Freund, können mögliche Rivalen euch feindlich gesinnt sein. Damit es auch nicht allzu einfach wird, ist es nicht machbar, alle Fraktionen zum Freund zu machen.
Aus diesem Grund gibt es auch Kämpfe mit ganz unterschiedlichen Nah- und Fernkampfwaffen, die teilweise ein wenig an das Repertoire von „Dead Island“ erinnern, wenngleich nicht ganz so abgedreht. Munition ist leider eine Mangelware, wodurch ihr auf Dauer euch eurer Gegner mit Nahkampfwaffen entledigen müsst. Neue Items und Waffenverbesserungen könnt ihr craften. Was dem Spaß hier enttäuschenderweise im Weg steht, ist das sehr begrenzte Inventar, wodurch ihr euch ständig überlegen müsst, was ihr mit euch herumschleppt und was nicht. Gerade bei Medizin ist dies jedoch eine schlechte Entscheidung, da ihr doch einige Male ohne diese ins Gras beißen werdet. Immerhin bietet euch „Atomfall“ eine gute Lösung: Ihr findet ein Rohrpost-System, über das ihr Dinge abgeben und wieder einsammeln könnt, sodass ihr nicht ganz hilflos dasteht, wenn es mal darauf ankommt. Leider schmälert auch dieses System die Atmosphäre, da die Stellen, an denen ihr euch mit euren Items ausstatten oder diese abgeben könnt, nicht immer leicht zu finden sind und auch nicht automatisch in der Karte gespeichert werden. Bleibt zu hoffen, dass ein Patch dieses Problem löst.
Grafik und Sound
Audiovisuell merkt man dem Spiel an, dass seine Engine nicht die Allerneuste ist. Zwar sehen die Gebiete durchaus ansehnlich aus und abwechslungsreich. Doch ist die Welt insgesamt recht klein und bietet keine echten Anhaltspunkte, was es hin und wieder schwierig macht, sich mangels markanter Stellen zurechtzufinden. Die Charaktermodelle sind optisch ebenfalls nicht up to date. Schade ist, dass hier – wie auch bei den „Sniper Elite“-Spielen – keine deutsche Sprachausgabe vorliegt. Lediglich die Untertitel kommen lokalisiert daher. So nimmt „Atomfall“ hier ein weiteres Stück seiner Atmosphäre, da man permanent mit dem Lesen der Untertitel beschäftigt ist. Denn selbst diejenigen unter euch, die gutes Englisch sprechen, könnten bei einigen Akzenten nicht schnell genug verstehen, was gerade von euch verlangt oder euch mitgeteilt wird.
Fazit: Mit „Atomfall" entfernt sich Rebellion von seiner „Sniper Elite“-Reihe und bleibt sich dennoch treu. Vieles von dem, was ihr tun sollt, bleibt nebulös, was einerseits Spaß macht, andererseits aber auch ein wenig für Frust sorgen kann, zumal einige Dinge selbst erschlossen werden müssen. Grafisch ist der Titel nur Mittelmaß und auch die fehlende deutsche Vertonung ist ein Manko. Wer allerdings fast von allen Fesseln frei die Welt erkunden, erleben und sich dabei überraschen lassen möchte, der wird durchaus Gefallen an „Atomfall“ finden können. Das Überleben hier ist keinesfalls ein Zuckerschlecken, aber dank der unterschiedlichen Fraktionen durchaus motivierend.
Wir bedanken und bei den Entwicklern von Rebellion für das zur Verfügung gestellte Testexemplar.
U. Sperling