Karma: The Dark World | Review (PS5)
Stell dir vor, du tauchst ein in eine Welt, die gleichzeitig faszinierend und verstörend ist – eine dystopische Vision, die George Orwells Albträume mit David Lynchs surrealen Bildern vereint. Karma: The Dark World ist kein gewöhnliches Horrorspiel. Es ist ein psychologischer Trip, der dich herausfordert, deine Wahrnehmung zu hinterfragen und dich in eine alternative Realität des Jahres 1984 entführt. Doch kann dieses Spiel die hohen Erwartungen erfüllen? Lass uns einen genaueren Blick darauf werfen.
Totale Gedankenkontrolle
Bereits die ersten Spielminuten sind verstörend und lassen uns mit vielen Fragen zurück. Im Laufe des rund zehnstündigen Spiels werden diese auch nicht weniger – im Gegenteil. Denn viele Dinge werden nur angerissen, sollen von uns als Spieler selbst verstanden werden und bleiben – wenn überhaupt – mit ihren Antworten nebulös und vage. In Karma: The Dark World schlüpft ihr in die Rolle eines jungen Mannes mit Namen Daniel McGovern. Dieser ist ein Ermittler der so genannten „Gedankenbehörde“. Die Handlung spielt in einer alternativen Version Ostdeutschlands, was durchaus praktisch ist, da die ehemalige DDR als Schauplatz noch ein recht ungenutztes Szenario abgibt. Leider liegt hier aber auch zugleich der Schwachpunkt des Spiels. Denn auch wenn die Entwickler ihre Wurzeln nicht in Deutschland haben und natürlich in erster Linie für den internationalen Markt produzieren, ist es widersprüchlich, dass hier keine einzige Person Deutsch spricht. So bricht hier die Immersion komplett in sich zusammen, was sehr bedauernswert ist, da der Rest des Spiels durchaus zu unterhalten weiß.
Aufgrund der alternativen Realität ist es auch nicht die SED, welche die Macht in Ostdeutschland hat, sondern die „Leviathan Corporation“. Eure Aufgabe ist es, die Gedankenwelten von Verdächtigen, welche möglicherweise zu einer Gefahr der Firma werden könnten, zu infiltrieren, um verborgene Wahrheiten aufzudecken. Was bis dahin schon relativ kurios anmutet, wird durch die Darstellung der Gedankenwelten und das Gameplay noch surrealer, sodass es die Entwickler schaffen, den Zweifel, der McGovern spürt, auf uns als Spieler zu übertragen. Was ist real? Was nur Einbildung? Mit diesen grundlegenden Fragen spielt die Handlung sehr geschickt und wird dabei sogar an gewissen Stellen tiefgründig. Für die surrealen Momente gibt es bereit in der ersten halben Stunde etliche Beispiele: So seht ihr auf Fotos, die euch vorgelegt werden Menschen mit verwaschenen Gesichtern oder Autofahrer, die statt Gesichter Bildschirme auf ihren Schultern tragen. Einige Szenen später kommt ihr in eine Art Labor, in dem scheinbar Menschen aus Beeten herauswachsen. Während ihr ihre Oberkörper unter transparenten Folien erkennt, liegen einige Meter weiter andere Menschen, die wie auf einen Kompost geworfen wirken. Auf all den Wahnsinn, der euch vorgesetzt wird, muss man auch erst einmal kommen.
Da das Spiel ausschließlich auf die Ego-Perspektive setzt, fühlt ihr euch jederzeit mitten drin statt nur dabei. Die Intensität und Atmosphäre, welche das Spiel aufbaut, sind auch hohem Niveau angesiedelt und sorgen nicht selten für Gänsehautmomente. Jump Scares sind hingegen eher selten. Für das perfekte Erlebnis empfehlen wir euch unbedingt, mit Kopfhörern zu spielen, da ihr auf diese Weise noch stärker ins Geschehen eingesogen werdet.
Ansonsten ist das Gameplay recht einfach gestrickt. Ihr lauft von einem Ort zum nächsten, interagiert an vorgegebenen Punkten mit Objekten, löst kleinere Rätsel und entdeckt Zusammenhänge auf der Frage nach dem „Wer bin ich und was mache ich hier eigentlich?“ Bei der Reise, die ihr hier erlebt, werden immer wieder Elemente des Buchs „1984“ angedeutet. Wer es nicht gelesen hat, verpasst zwar nichts, kann aber hier und da das geistige Vorbild des Spiels durchschimmern sehen.
Grafisch ist Karma: The Dark World ebenfalls gelungen und wartet mit vielen verstörenden Dingen auf wie Schaufensterpuppen mit defekten Köpfen, die euch auch mal den Weg versperren oder Monster, die aus den Tiefen von Stephen Kings kreativ-wahnsinnigem Hirn entsprungen sein könnten. Es ist schwer, hier etwas zu beschreiben, ohne zu viel zu verraten. Besonders gelungen sind die sich verändernden Räume, die mit manch interessantem Gruselelement aufwarten. Da alles sehr dunkel ist, werden mögliche Grafikschwächen geschickt kaschiert. Ruckler, Tearing oder verwaschene Texturen konnten wir in unserem Test allerdings nicht ausmachen.
Fazit: Karma: The Dark World ist eines dieser Horrorspiele, die uns mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt und zeigt, dass es vor allem der Horror im Kopf ist, der die Gänsehaut ausmacht. Hideo Kojima könnte es kaum besser machen. Der Abstieg in die Psyche der Menschen ist grandios umgesetzt und sollte unter Umständen in Etappen zurückgelegt werden. Neben der tollen Grafik ist es vor allem die auditive Umsetzung, die begeistert. Einzig die englische (und chinesische) Vertonung in einem Spiel, welches in Ostdeutschland angesiedelt ist und keine einzige deutschsprachige Stimme, sind für mich in diesem Zusammenhang ein no go. Selbst in Spielen wie „Wolfenstein“ können Entwickler so etwas einbinden. Warum dann nicht hier? Auch ein wenig mehr als ein „Walking Simulator“ mit Horror wäre beim Gameplay wünschenswert gewesen. Dennoch ist das Spiel für Fans von subtilem Horror eine ganz klare Empfehlung!
Wir bedanken uns bei Wired Productions für das zur Verfügung gestellte Testexemplar.
U. Sperling