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| Marc Heiland | Konsolen

DeliverBild1Mit Deliver At All Costs bringt das schwedische Indie-Studio Far Out Games in Zusammenarbeit mit Publisher-Konami einen explosiven Genre-Mix auf den Markt, der irgendwo zwischen Arcade-Raser, Sandbox-Spiel und absurd-überzeichneter und überdrehter Action-Komödie rangiert. Im Spiel schlüpft ihr in die Rolle von Winston Green, einem Kurier, der in den USA des Jahres 1959 seine Auftragswaren unter allen Umständen zustellen muss. Was das bedeutet und warum hier Wahnsinn Programm ist, erklären wir im Test.

Irrsinn mit Methode

Winston Green hat es nicht leicht. Als Kurier, der jeden Tag Pakete zustellt, in seinem Job jedoch nicht glücklich ist und zu Beginn des Spiels nach einem neuen Job sucht, wird er auf eine abgedrehte Mission geschickt, die irrer nicht sein können: Sein neuer Arbeitgeber verpflichtet ihn, Lieferungen unter allen Umständen ans Ziel zu bringen. Und dies könnt ihr wörtlich nehmen! Denn wer bringt schon einen lebenden Schwertfisch auf dem Anhänger von A nach B, fährt ein Feuerwerk durch die Landschaft, das während der Fahrt anfängt, zu explodieren oder stellt eine gigantische Bombe zu, die jeden Moment bei der kleinsten Berührung hochzugehen scheint? Genau dies steht bei „Deliver at All Costs“ auf der Tagesordnung der unterschiedlichen Missionen. Ihr seht: Der Humor des Spiels ist eine der Stärken und ziemlich extrem.

Das Gameplay von Deliver at All Costs ist ein Fest für Fans von Chaos und Zerstörung. Fast alles in der Welt lässt sich pulverisieren: Häuserwände, Telefonzellen, Statuen, ganze Tankstellen. Dank des Fokus auf Arcade-Action wird hier auch keine umfangreiche Physik oder Steuerung geboten. Besonders gelungen ist die große Vielfalt an Fahrzeugen: Mal kutschiert ihre eure Lieferung mit einem rostigen Pickup, mal donnert ihr mit einem gepanzerten Abriss-Bulldozer durch ein Einkaufszentrum – immer mit dem Ziel, das Lieferobjekt möglichst spektakulär und halbwegs heil ans Ziel zu bringen.

Deliver At All Costs setzt bei der Steuerung auf ein bewusst arcadiges Fahrgefühl, das sich irgendwo zwischen Crazy Taxi, Burnout und einem überdrehten Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt einpendelt. Schon nach wenigen Minuten wird klar: Realismus ist hier kein Ziel – was zählt, ist Geschwindigkeit, Chaos und das befriedigende Gefühl, mit einem übermotorisierten Lieferwagen durch eine Altstadt-Promenade zu brettern. Und in seinen besten Momenten funktioniert das auch ausgezeichnet.

Die Fahrzeuge steuern sich grundsätzlich direkt und reagieren schnell auf Eingaben – teilweise vielleicht sogar zu schnell. Gerade bei leichteren oder wendigeren Vehikeln wie dem Liefer-Moped oder den flinken Pickups neigt das Fahrverhalten zu Überreaktionen: Eine kleine Bewegung am Stick oder der Tastatur, und das Fahrzeug schwenkt aus, kracht gegen eine Hauswand oder flippt gleich komplett über die Bordsteinkante. Das sorgt zwar für spektakuläre Unfälle, kann aber in präziseren Missionen frustrierend wirken – etwa wenn eine Lieferung unversehrt ankommen muss oder Zeitlimits knapp gesetzt sind.

Auch die Fahrphysik ist nicht immer vorhersehbar. Zwar sind die Zerstörungs- und Crash-Animationen optisch ein Genuss, doch die zugrundeliegende Physik-Engine scheint gelegentlich eigene Entscheidungen zu treffen: Fahrzeuge bleiben an kleinen Objekten wie Mülltonnen hängen, kollidieren mit unsichtbaren Kanten oder katapultieren sich bei einem leichten Auffahrunfall meterhoch in die Luft. Das passt zwar irgendwie zur überdrehten Spielwelt – in kritischen Missionen kann es jedoch für Stirnrunzeln sorgen.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Kamera. Besonders in engen Gassen kommt es gelegentlich zu unglücklichen Perspektivwechseln oder zu einem zu engen Kamera-Zoom. In Kombination mit der ohnehin hektischen Spielmechanik kann das die Übersicht einschränken, vor allem bei hohen Geschwindigkeiten.

Das ganze Spektakel wird eingerahmt von einer dichten Atmosphäre, die mit viel Liebe zum Detail gestaltet wurde. Radiosender mit authentisch produzierten Jingles, Werbespots im 50er-Jahre-Stil, eine Benutzeroberfläche wie aus alten Werbebroschüren – Deliver At All Costs schafft es, nostalgische Stimmung mit modernem Chaos-Gameplay zu verknüpfen. Der Soundtrack spielt eine entscheidende Rolle: Von swingendem Jazz bis zu rebellischem Rockabilly ist alles dabei, was das Szenario lebendig macht.

DeliverBild2Die grafische Gestaltung von Deliver At All Costs ist ein absoluter Blickfang – nicht, weil sie fotorealistisch wäre, sondern weil sie mit einem konsequent durchgezogenen, stilisierten Retro-Look begeistert, der perfekt zur absurden Prämisse und dem historischen Setting passt. Die Entwickler von Far Out Games setzen auf eine kräftige Farbpalette, die stark von den Werbestilen der 1950er Jahre inspiriert ist: pastellige Hausfassaden, leuchtend bunte Werbetafeln, chromglänzende Autos und übertriebene Neonreklamen prägen das Stadtbild. Alles wirkt ein wenig überzeichnet, beinahe wie aus einem Vintage-Katalog – und das ist ganz offensichtlich beabsichtigt.

Technisch bewegt sich das Spiel dabei im soliden Mittelfeld: Deliver At All Costs kein Grafikbrett à la Cyberpunk 2077, aber es schöpft seine Stärken aus stilistischer Kohärenz und verspielter Detailverliebtheit. Besonders gelungen sind die Animationen der Zerstörung. Wenn ihr mit 120 km/h durch die Schaufenster eines Diner brettert, zersplittern die Glasscheiben glaubwürdig, das Dach kippt krachend zur Seite und Ketchupflaschen fliegen durch die Luft – das Spiel versteht es, physikalische Katastrophen mit Slapstick-Charme zu inszenieren.

Ein besonderes Lob verdient die Beleuchtung. Tagsüber badet die Stadt in warmem Sonnenlicht, das Gebäude und Fahrzeuge weich konturiert. In den Abendstunden hingegen tauchen Neonröhren und Reklamen die Stadt in ein grell-buntes Lichtermeer, das an ein überdrehtes Las Vegas erinnert. Die Lichtreflexe auf den Autos und die Partikeleffekte bei Explosionen sind überzeugend und sorgen dafür, dass das Spiel auch in hektischen Momenten visuell nie langweilig wird.

Doch trotz all des Lobes ist nicht alles glänzend in diesem nuklearen Lieferparadies. Die Story – die zunächst mit schrägem Witz und überraschend viel Charisma punkten kann – verliert gegen Ende an Fokus. Einige Nebencharaktere verschwinden plötzlich aus dem Plot, manche Storytwists wirken erzwungen. Auch die Missionsstruktur wiederholt sich in der zweiten Spielhälfte teils zu deutlich. Wo zu Beginn noch jede Lieferung ein Unikat war, stellt sich im späteren Verlauf eine gewisse Routine ein – wenngleich das explosive Gameplay dies größtenteils kompensieren kann.

Was den Vertrieb betrifft, hat Konami einen cleveren Schachzug gemacht: Zur Veröffentlichung war Deliver At All Costs eine Woche lang kostenlos im Epic Games Store verfügbar – eine großzügige Einladung an alle Neugierigen, das Spiel kennenzulernen. Danach wird es zum fairen Preis von rund 25 € auf allen gängigen Plattformen angeboten, inklusive PlayStation 5, Xbox Series X|S und PC.

7Fazit: Deliver At All Costs ist kein Spiel, das man für seine dramaturgische Tiefe oder ausgefeilte Mechaniken spielt. Es ist ein Spiel, das durch seine kompromisslose Zerstörungsfreude, seinen charmanten Stil und seinen anarchischen Humor punktet. Wer Spaß daran hat, eine Welt in Trümmer zu legen, während man einen lebenden Thunfisch mit Blaulicht ausliefert, wird sich hier wie zu Hause fühlen. Trotz kleiner Schwächen im Storytelling bleibt das Spiel ein stimmiger und durchgedrehter Indie-Hit – ideal für alle, die gern Chaos stiften und dabei auch mal lachen wollen.

Wir bedanken uns bei Konami für das zur Verfügung gestellte Testmuster.

U. Sperling

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